A short history of the Opiliones volume in ‘Die Tierwelt Deutschlands’ published by Martens () is presented. The area under consideration comprises Central Europe expanded by large parts of Scandinavia, the British Isles, non-Mediterranean France, Benelux, the complete Alps and in the south-east those parts of Romania and Croatia whose fauna was sufficiently well known. Additions and changes which appeared since 1978 are highlighted: new species discovered in this area, taxonomic changes, important distributional records, as well as changes of faunal composition due to human-mediated influences and climate change are addressed. Perspectives for further research concern faunal inventory especially in the Southern Alps, ecological studies, control of faunal change dynamics and morphological-anatomical investigations. Originally, 113 species were documented for this area and 31 species have been newly discovered since. Of these, 22 species have their type locality in the area under consideration. Eight species had to be excluded from the list due to incorrect identifications, wrongly attributed locality indications and synonymies (Peltonychia postumicola, P. gabria, P. insignis, Ischyropsalis pyrenaea, I. helvetica, Leiobunum tiscae, Nelima nigripalpe, Opilio ravennae). The majority of the new species were discovered in isolated areas of the Southern Alps, largely congruent with Massifs de Refuge, i.e. zones that where ice-free within glacial periods. Paranemastoma silli monticola from Romania is upgraded to species rank, Paranemastoma monticola stat. nov. Recently, molecular genetics (Ischyropsalis, Trogulus, Megabunus) and partly chemical and ecological methods (Megabunus, Nemastoma) helped to understand species delimitations more accurately, resulting in considerably higher number of species in the relevant genera than formerly believed. Due to recent man-made introductions eight species reached our area of investigation after 1978, but considerably more species in partial areas like Great Britain or the Netherlands. Successive range expansions of these species differ considerably from nearly zero to complete coverage of central Europe. Dasylobus graniferus is recorded for the first time in Germany. Following climate warming favourable conditions accelerate northward extension of native species, namely to the British Isles, northern parts of Central Europe and southern Scandinavia. By contrast, rainless dry summer periods influence the Central European opilionid fauna negatively causing regional extinctions.
Allgemeiner Teil
Der 22. Januar 1976 war für den Weberknecht-Band in der Reihe „Die Tierwelt Deutschlands“(Martens 1978) ein denkwürdiges Datum. An diesem Tag reiste ich mit dem mehrhundertseitigen Manuskript und einem nahezu sechs Kilogramm schweren Stapel aller auf Karton aufgeklebten Original-Zeichnungen von Mainz nach Berlin, um am berüchtigten Bahnhof Friedrichstraße über die innerdeutsche Grenze nach Ostberlin, Hauptstadt der DDR, zu gelangen. Ein erklärendes Schreiben der seinerzeitigen Herausgeber der „Dahl“-Reihe zu meiner eigenartigen Fracht (Abb. 1), das ich mir vorsichtshalber hatte übermitteln lassen, brauchte ich bei der Grenzkontrolle glücklicherweise nicht vorzuweisen. Der gewichtige Koffer durfte ungeöffnet bleiben, und das wertvolle Gut blieb unangetastet. Das Museum für Naturkunde war anschließend zu Fuß leicht zu erreichen, und dort traf ich verabredungsgemäß mit Professor Dr. Konrad Senglaub und seinem Herausgeber-Gremium zur Übergabe von Manuskript und Zeichnungen zusammen, auch die Lektorin des VEB Gustav Fischer Verlages in Jena, Frau Schlüter, war zugegen. Alle Unterlagen wurden eingehend inspiziert, und ich konnte nach kurzem Aufenthalt mit leerem Koffer, der an der Grenze nun doch geöffnet werden musste, wieder abreisen. Wochen später wurde alles für gut befunden und zum Druck angenommen (Abb. 2) – und dann hatte das Projekt aus Gründen, die nie erklärt wurden, erst einmal für fast drei Jahre zu ruhen. Der Band als Nummer 64 der Reihe erschien nach langwierigen Redaktionsarbeiten schließlich im Sommer 1978. Wie sich schnell herausstellte, hatte der Verlag die bereits erhöhte Auflage von 700 Exemplaren trotz meiner anderslautenden Empfehlungen und Hinweise deutlich zu gering angesetzt; sie war schon nach knapp zwei Jahren vergriffen und wurde trotz vielfacher Nachfrage nicht erneut aufgelegt.
Das Vorhaben
Was war damals das Ziel dieser Neubearbeitung der Opiliones in dieser traditionsreichen Reihe? Die Weberknechte hatte schließlich Alfred Kästner fünf Jahrzehnte zuvor (Kästner 1928) ebenfalls in der „Tierwelt Deutschlands“in einer knappen Darstellung vorgelegt und dort 43 Arten und Unterarten abgehandelt. Trotz dieser Vorarbeit waren mitteleuropäische Weberknechte seither bis auf einige Allerweltsarten nahezu unbestimmbar. Revisionen nach modernen Kriterien fehlten, obwohl Carl-Friedrich Roewer (1881–1963) schon 1923 ein riesiges Standardwerk geschaffen hatte (Roewer 1923). Allerdings hatte er von 1910 bis 1964 nach 54jähriger Publikationstätigkeit (Kraus 1963), auch in populären Bestimmungswerken (z.B. Roewer 1959), in vielen taxonomischen Bereichen auch innerhalb Europas oftmals mehr Verwirrung als Klarheit herbeigeführt. Schon Kästner (1928) musste sich mit seiner taxonomischen Sichtweise auseinandersetzen. Von den vielen späteren Neubeschreibungen basierend auf falschen, wenn nicht gar gefälschten Fundortangaben (v. Helversen & Martens 1972) und einer erheblichen Zahl Neubeschreibungen selbst aus Deutschland sei hier abgesehen. Vor allem von diesen neuen Arten aus Deutschland hielt keine einzige späterer Nachprüfung stand.
Durch Carl Alexander Clerk (1709–1765) wurden genitalmorphologische Merkmale für taxonomische und evolutionsbiologische Zwecke in der Araneologie schon wesentlich früher eingebunden. Mit den Arbeiten von Vladimír Šilhavý (1913–1984) wurde die zuverlässige Kennzeichnung auch von Weberknechten vermehrt auf die männliche Genitalmorphologie gestützt (Šilhavý 1938, 1948, 1956, 1966). Selbst für die Gattungs- und Familiengliederung der Opiliones bewährte sich diese strenge Sicht auf genitalmorphologische Merkmale (Šilhavý 1966, Martens 1980). Vor allem die Beschreibung neuer, äußerlich sehr ähnlicher Opilio-Arten der Balkanhalbinsel zeigten den Wert der Methode schon 1938 sehr deutlich (Šilhavý 1938). Šilhavý hatte sich weitsichtig für diese Merkmale für eine sichere Artbestimmung entschieden und damit wichtige Maßstäbe gesetzt. Sie sind unvergessen, wurden aber nicht umgehend aufgegriffen. Nur wenige europäische Teilrevisionen oder gar Faunenwerke aus dieser Zeit genügten den neuen Anforderungen: Šilhavý (1956) für die Tschechoslowakei, Spoek (1963) für die Niederlande, kleine-re Arbeiten für den europäischen Raum etwa ab 1965, um in der alten Welt zu bleiben. Erst viel später bekamen Kriterien der Genitalmorphologie auch für Gattungs- und Familienkennzeichnung Gewicht (Martens 1976, 1986).
Diese Arbeiten waren Richtschnur für eine neue Sichtweise auf die Weberknechttaxonomie, sie zeigten den Weg für eine generelle faunistische, taxonomisch möglichst solide und geographisch umfassende Behandlung der Weberknechte Mitteleuropas. Allerdings musste die taxonomische Sichtweise weiterentwickelt werden. Vor allem war nicht klar, welcher Variabilität die Penis-Merkmale unterlagen, ob mit diesen Merkmalen tatsächlich zuverlässig Artgrenzen gezogen werden könnten und ob in allen europäischen Familien diese Merkmale sichere Artgrenzen zu signalisieren vermögen. Probleme mit diesen Merkmalen stellten sich bald ein und waren etwa bei den Gattungen Anelasmocephalus, Trogulus, Astrobunus und Paranemastoma offensichtlich. Das erforderte, weitere Merkmale zur Arttrennung heranzuziehen, und ggf. sogar auf das traditionelle Hauptkriterium der äußeren Morphologie zurückzugreifen, bestenfalls mit ihm zu kombinieren.
Es war damals der Plan, die geografischen Grenzen der Neubearbeitung möglichst weit zu ziehen, einerseits so weit wie es eben diese traditionsreiche Reihe ermöglichte, andererseits das geografische Gebiet so weit auszudehnen, wie die Aussagen über Artenbestand, Verbreitung und Taxonomie noch hinreichend verlässlich und sicher erschienen bzw. entsprechend aufgearbeitet werden konnten. So wurde das Bearbeitungsgebiet von Mitteleuropa aus um große Teile Skandinaviens, die Britischen Inseln, das nicht-mediterrane Frankreich, die Benelux-Staaten, den gesamten Alpenraum und im Südosten um die Teile Rumäniens und Kroatiens erweitert, deren Fauna hinreichend gut bekannt war.
Die Zusammenarbeit mit meinen Freunden und Kollegen, den Weberknechtkennern Albert Ausobsky, Paolo Brignoli († 1986), Jürgen Gruber, Wojciech Staręga († 2015) und Konrad Thaler († 2005) war außerordentlich fruchtbar. Sie ermöglichte erst, den Artenbestand zuverlässig zu erfassen und vor allem möglichst präzise Verbreitungskarten zu erarbeiten, die bei kleineren Arealen z.T. punktgenau ausgearbeitet werden konnten. Deren Aussagekraft war, wie sich bald herausstellte, außerordentlich hoch, und sie brauchten lange nicht ergänzt bzw. korrigiert werden. Erst die spätere intensivere Erfassung der mitteleuropäischen Weberknechte erbrachte deutliche Erweiterungen, z.T. waren neue Interpretationen von Arealen notwendig. Auch der Artenbestand erhöhte sich. Zwar wurden nur wenige Arten aufgefunden, die das Erfassungsgebiet nur am Rande erreichen (z.B. Odiellus troguloides); es wurden deutlich mehr Arten entdeckt, die erst noch wissenschaftlich zu beschreiben waren. Das waren vor allem solche aus den Südalpen mit sehr kleinen Arealen und dort wiederum Arten geringer Körpergröße, die nur schwer aufzufinden und zu sammeln sind. Es sind solche Gruppen darunter, deren Arten sich morphologisch nur geringfügig von ihren nahen Verwandten unterscheiden wie etwa innerhalb der Gattungen Cyphophthalmus, Siro, Trogulus, Anelasmocephalus, Leiobunum und Holoscotolemon, sodass die neuen genetischen Methoden eingesetzt werden konnten und sich als hilfreich erwiesen wie bei Trogulus, Nemastoma, Ischyropsalis und Megabunus.
Es erwies sich weiterhin, dass der Artenreichtum in den Alpenländern am größten ist, hier wiederum in den südlichen Gebirgsstöcken, die eiszeitlich als Massifs de refuge dienten und heute viele kleinräumig verbreitete Endemiten beherbergen (Komposch 2009a, 2011b). Selbst in den Nordalpen hat vereinzelt glaziale Überdauerung von Weberknechten stattgefunden; Megabunus lesserti gehört in diese Gruppe (Muster 2000, Muster et al. 2005). Auch die Höhlenfauna mit sehr abgeleiteten Arten aus den Gattungen Ischyropsalis, Mitostoma und Hadzinia hat den Glazialzeiten an der Stelle der heutigen Verbreitung widerstanden.
Was hat sich aus dem Dahl-Band 64 im Verlauf von über 40 Jahren entwickelt? Die vorliegende Arbeit soll erläutern, wo die mitteleuropäische Weberknechtkunde heute steht, und welche Veränderungen sich seit 1978 ergeben haben. Zugleich soll gezeigt werden, welche Wege weiterhin beschritten werden sollten.
Generell lässt sich festhalten, dass diese Bearbeitung in der „Tierwelt Deutschlands“der Taxonomie der mitteleuropäischen Weberknechte eine solide Basis gegeben hatte, die weit in andere Gebiete Europas ausstrahlte und zu einer festen Größe bei Faunenerhebungen geworden ist. Auch bei gutachterlichen Darstellungen zur Werteinschätzung von Biotopen und geplanten Naturschutzgebieten spielen Weberknechte inzwischen eine Rolle.„Weberknechtgemeinschaften spiegeln mit hoher Trennschärfe Unterschiede in der Biotopausstattung und – strukturierung sowie im Mikroklima wider und eignen sich damit als Bioindikatoren für naturschutzrelevante und landschaftsökologische Fragestellungen“(Komposch 1997). Inzwischen sind Weberknechte so volkstümlich geworden, dass ihnen von Komposch, Gruber und Martens deutsche Trivialnamen gegeben wurden; allerdings sind sie noch nicht durchgehend in Gebrauch. Sie wurden aber z.B. von Komposch & Gruber (2004), Muster et al. (2016) im Online-Atlas (Arachnologische Gesellschaft 2021a) und im Wiki des Spinnenforums (Arachnologische Gesellschaft 2021b) übernommen.
Die Artenzahl im ursprünglich definierten Areal betrug 113, neun Arten mussten gelöscht oder als synonym zu anderen Arten eingestuft werden, die Gesamtzahl ist auf 139 angestiegen, eine Steigerung um 18 %. Von den neu erfassten Arten sind 22 taxonomische Erstbeschreibungen aus unserem Gebiet, vor allem aus dem Südalpenraum, betrifft aber auch Arten aus Korsika und Rumänien, deren Arealvorposten unser Gebiet streifen (Kalliste pavonum, Trogulus banaticus). Für eine Arthropodengruppe ist das eine erstaunlich hohe Zahl an neu entdeckten Arten; sie weisen auf bisher generell geringen Erforschungsgrad und die noch immer lückenhafte Erfassung vor allem der Kleinformen in schwer zugänglichen Biotopen.
Verbreitungskarten und Faunenänderungen
Die seinerzeit angebotenen Verbreitungskarten haben sich weitgehend bewährt. Nahezu alle erwiesen sich zumindest in den Grundzügen als richtig und verlässlich getroffen, wenngleich Einzelheiten vielfach nachzutragen und zu ändern waren. In einem Fall (Leiobunum gracile/rupestre) mussten die Artgrenzen neu gezogen werden (Martens & Schönhofer 2016). Präzisierungen der Verbreitungsangaben beruhen einerseits auf der Entdeckung von kleinen oft isolierten Arealsplittern, die bei geringer faunistischer Erfassung bisher übersehen worden waren. Oder es waren größere Arealteile betroffen, die in bisher wenig besammelten Gebieten liegen, zumeist auf der Balkanhalbinsel.
Zwei Szenarien für deutliche Arealveränderungen sind derzeit in Mitteleuropa zu beobachten.
In den vergangenen 30–40 Jahren hat sich die Fauna der Weberknechte Mitteleuropas mit zunehmender Dynamik dramatisch verändert. Das hat mit dem immer deutlicher werdenden Klimawandel zu tun, der nordwärts gerichtete Arealveränderungen bewirkt und eingeschleppten Arten Ansiedlung ermöglicht. Im Warentransport über große Entfernungen „mitgebrachte“Arten hat es sicherlich schon immer gegeben, aber stark veränderte Landschaftsgefüge im Ankunftsgebiet, wo der Konkurrenzdruck der einheimischen Arten gering ist oder ganz fehlt, kann dauerhafte Ansiedlung begünstigen (Vestbo et al. 2018). Dabei sind über große Entfernungen hinweg lebensfähige sich reproduzierende Populationen entstanden – mit erstaunlichen Beispielen aus den Niederlanden (Noordijk & Bink 2014, Noordijk et al. 2015, Wijnhoven 1999, 2003, 2005, 2007, Wijnhoven et al. 2007, 2014), Dänemark (Enghoff et al. 2014, Toft 2018) und Großbritannien (Davidson 2019). In den Niederlanden erhöhte sich die Artenzahl seit der Erfassung von Spoek (1963) von 20 auf 33 Arten, wobei damals einige Arten übersehen wurden und die Taxonomie der Arten mancher Gattungen weniger differenziert gesehen wurde als heute. Aber die Tendenz mit neun „echten“Neuankömmlingen ist eindeutig, und ein Ende ist nicht abzusehen. In Großbritannien nehmen die Neusiedler in der Gesamtfauna ebenso einen hohen Prozentsatz ein. Davidson (2019) beziffert die Zahl der eingeschleppten Arten von 1990 bis 2019 auf acht, davon allein fünf von 2010 bis 2019. Die in den letzten Jahrzehnten nach Mitteleuropa verbrachten Arten zeigen sehr unterschiedliche Ausbreitungsdynamik. Der Apenninenkanker Opilio canestrinii breitete sich in wenigen Jahren über ganz Mitteleuropa aus, der Namenlose Invasivkanker Leiobunum sp. A markant nur in den „Steinwüsten“des Ruhrgebietes, sonst eher verhalten und punktuell. Die Ausbreitung von Dicranopalpus ramosus stagniert bislang weitgehend im atlantischen und subatlantischen Klimabereich. Die Ursachen für unterschiedliche Ausbreitungstendenzen sind nicht bekannt. Ändert sich die Biotopbindung der einzelnen Arten, sind die klimatischen Bedingungen innerhalb Mitteleuropas zu unterschiedlich, verdrängen die Einwanderer andere Arten und/oder werden sie selbst von lokalen Arten „aufgehalten“?
Eine zunehmende Zahl von Arten, die bislang über klimatische (und generell ökologische) Bindungen in Mitteleuropa klar begrenzte Areale aufwiesen, erweitern ihre Verbreitungsgebiete in immer rascherer Geschwindigkeit. Vor allem die Ausbreitung nach Norden ist auffällig und gibt zu denken. Odiellus spinosus, Lacinius dentiger, Nelima sempronii und (mit Einschränkung) Paranemastoma quadripunctatum haben ihre Areale nördlich der Alpen massiv ausgeweitet (Arachnologische Gesellschaft 2021a) und sind bis Dänemark (Enghoff et al. 2014) und sogar Südschweden vorgedrungen (Jonsson 2013). Nemastoma dentigerum, früher bei uns eine nur punktuell verbreitete Art (Gruber & Martens 1968, Martens 1978), hat sich massiv ausgebreitet (Muster et al. 2016; eigene Beobachtung). Die kontinuierlich aktualisierten Nachweiskarten (Arachnologische Gesellschaft 2021a, British Arachnological Society 2021) halten den Wandel in Echtzeit fest – auf lange Sicht ein extrem wichtiges Instrument.
Ursachen. Eine deutliche Erweiterung des Artenbestandes im Untersuchungsgebiet beruht auf Verschleppung durch Gütertransport, etwa bewurzelte Pflanzen, Erde, Steine, Mineralien, die zumindest einzelne trächtige Weibchen in fremde Gebiete verfrachteten. Bisweilen gelingt es, beständige lokale Populationen aufzubauen und Kleinareale sogar zu erweitern. Der Apenninenkanker Opilio canestrinii und der Namenlose Invasivkanker Leiobunum sp. A sind markante Beispiele für große Arealgewinne. Nemastoma bidentatum mit zwei seiner Subspezies haben sich aus ihren alpinen Arealen in Flussauen Ost- und Norddeutschlands seit Jahren nur punktuell angesiedelt; der Mechanismus ist unerklärt. Viele Verschleppungen sind nur ephemer und erlöschen nach einem oder nur wenigen Jahren. Dasylobus graniferus 2019 und 2021 in Mainz, Nelima gothica 1996 in Frankfurt zwischen Bahngleisen oder Leiobunum gracile in Sachsen im Areal von L. rupestre sind Beispiele (vgl. unten). Solche kurzlebigen Ansiedlungen hat es vermutlich immer wieder gegeben, doch werden sie heute bei intensiverer faunistischer Erfassung leichter entdeckt.
Gegenläufige Entwicklungen. Die drei extrem trockenen Sommer 2018–2020 haben selbst die Bestände von anthropophilen euryöken Arten, die Trockenheit tolerieren, stark ausgedünnt und zumindest in Teilen Deutschlands lokal fast zum Verschwinden gebracht. Deren Jugendstadien leben am Boden und sind von ausgeglichenem Mikroklima und Feuchtigkeitsregime abhängig. Betroffen sind Leiobunum rotundum, Phalangium opilio, Opilio canestrinii, Opilio saxatilis (Umgebung von Mainz, pers. Beob.). Deren Ruheplätze an Hauswänden sind gut zu kontrollieren und die Fakten leicht zu erheben. In den Niederlanden scheinen die am Boden lebenden Arten Paroligolophus agrestis und Oligolophus hanseni von der Trockenheit betroffen zu sein und sind lokal verschwunden (Wijnhoven pers. Mitt.). Das weitgehende Erlöschen der Bestände des Mauerkankers Opilio parietinus in Mitteleuropa, um 1960 noch eine häufige Art, ist bisher nicht überzeugend erklärt. Es wird immer wieder mit der flächendeckenden Ausbreitung von Opilio canestrinii in Verbindung gebracht; es beruht vermutlich nicht (primär) auf dem Klimawandel. Noch immer existieren syntop lebende Populationen beider Arten (vgl. unten). Die Bestände am und im Boden lebender Arten sind schwerer zu kontrollieren; Erhebungen fehlen hierzu. Es ist davon auszugehen, dass auch diese Gilde deutliche Populationseinbußen erlitten hat (Komposch 2020). Feuchtgebiete etwa an Bachufern oder in Auwäldern können Rückzugsgebiete darstellen, die Neubesiedlung in der Umgebung ermöglichen.
Ausblick und Fragen
Artenbestand. Er ist im Bereich des geografischen Areals des Bandes 64 der „Tierwelt Deutschlands“noch immer nicht komplett bekannt; nach wie vor werden neue Endemiten gefunden, allein neun in den Jahren von 2000 bis 2020. Jetzt sind es naturgemäß solche, die extrem kleine Verbreitungsgebiete aufweisen, ökologisch sehr spezialisiert sind und sich nur schwer entdecken lassen. Diese Arten sind von großer evolutionsbiologischer, zoogeographischer und arealhistorischer Bedeutung (Komposch 2009a, 2011b). So gut wie immer sind das Arten der Bodenstreu und sogar tieferer Bodenschichten, auch solche in Höhlen, die spezielle Sammelmethoden erfordern. In diesen Artengruppen sind weitere Funde zu erwarten. Die troglobionten Arten der Südalpen sind erst mangelhaft bekannt; der kürzlich entdeckte Höhlen-Fadenkanker Hadzinia ferrani aus Slowenien belegt das (Novak & Kozel 2014).
In Gattungen mit äußerlich extrem gleichförmigen Arten sind mit adäquater Analysetechnik Überraschungen zu erwarten, wobei die Molekulargenetik eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Die Gattungen Trogulus, Ischyropsalis und Megabunus haben das eindringlich gezeigt (Schönhofer 2009, Schönhofer & Martens 2010a, Schönhofer et al. 2013, 2015, Wachter et al. 2015, 2016). Auch bei starker morphologischer Differenzierung innerhalb etablierter Taxa, wie bei Nemastoma bidentatum und N. dentigerum bietet sich diese Technik an (Schaider et al. 2014).
Die Trogulus-Revision von Schönhofer (2009) ist auf das gesamte europäisch-vorderasiatische Areal gesehen bei weitem nicht komplett (siehe oben). Für Folgearbeiten bereits aus Hochlagen der Alpen (Barberfallen) sind weitere Aufsammlungen notwendig, ebenso in Italien, auf der Balkanhalbinsel und im Nahen Osten. Frisches Material sollte (in absolutem Alkohol und tiefgefroren) langfristig aufbewahrt werden, um für genetische Arbeiten tauglich zu bleiben.
Vielversprechend wäre eine solche Analyse der Gattungen Dicranolasma und Anelasmocephalus, ferner die distinkten Populationen von Nemastoma dentigerum und von N. bidentatum bei denen sich einzelne Populationen in Chelizeren- und Palpenform stark unterscheiden (Schaider et al. 2014). Bei N. bidentatum kennzeichnen sie Unterarten, teilweise möglicherweise sogar eigenständige Arten. Auch die Gattung Paranemastoma ist hier einzureihen, die auf der Balkanhalbinsel in großer Formenfülle vorkommt und deren phylogenetisch vermutlich junge Arten nur schwer zu trennen sind.
Mitopus morio als ubiquitäre und äußerlich extrem variable Art sollte großflächig genetisch untersucht werden. In einem kleinen Gebiet in Tirol wurden drei genetische Linien gefunden, deren taxonomischer Status unklar ist (Arthofer et al. 2012). Astrin et al. (2016) verweisen darauf, dass in Mitteleuropa mindestens vier genetische Linien vorkommen, denen wahrscheinlich Artstatus zuzusprechen ist. In den französischen Westalpen treffen auf etwa 1600 m zwei morphologisch deutlich verschiedene M. morio-Populationen abrupt aufeinander. Der aus Großbritannien beschriebene M. ericaeus (Jennings 1982) sollte genetisch untersucht werden. Hier besteht Forschungsbedarf.
Die Chemotaxonomie ist im Einzelfall wie auch in der Großsystematik zunehmend hilfreich (Raspotnig 2012, Raspotnig et al. 2014, 2017); deren Bedeutung wird zunehmen.
Faunenverschiebung. Durch die Klimaveränderung wird sie zunehmend stärker in Erscheinung treten – durch generelle Erwärmung und damit einhergehender Trockenheit. Wir können weitere gebietsfremde Arten bei uns erwarten, aber auch Aussterbevorkommnisse durch trockenere Sommer. Hierher gehören Populationsfluktuationen, die sorgfältig dokumentiert werden sollten. Leiobunum gracile hat solche in über einhundert Jahren mehrfach durchgemacht, was für Deutschland und Dänemark dokumentiert ist (Martens & Schönhofer 2016). Der Mauerkanker Opilio parietinus, ein Archaeoneozoon in Mitteleuropa, um 1960 noch eine häufige Art, ist aus Mitteleuropa so gut wie ganz verschwunden; die Ursachen sind nicht bekannt, Vermutungen wurden geäußert (Muster et al. 2014).
Ein beständiges Monitoring ist vonnöten. Im Atlas der Spinnentiere Europas (Arachnologische Gesellschaft 2021a) können die Daten abgelegt und visualisiert werden – das Monitoring indes muss finanziert und standardisiert durch-geführt werden. Allein die Zuabeit von ehrenamtlichen Helfern ist nicht ausreichend und kann nicht auf Dauer erwartet werden.
Mit außereuropäischen, selbst tropischen Arten muss bei uns gerechnet werden. Eine Art der Assamiidae ist in Warmhäusern im Palmengarten in Frankfurt am Main über mehrere Jahre hinweg gefunden worden (siehe unten; S. Lauterbach leg., CJM); die Art ist unbestimmt, ihre Herkunft – ob im tropischen Asien oder in Afrika südlich der Sahara – bisher nicht ermittelt.
Ökologie und Verhaltensbiologie. Sie lassen noch viele Fragen offen. Beispiele gehaltvoller Studien sind jene zur Biologie von Leiobunum sp. A und zum Fortpflanzungsverhalten von Paroligolophus agrestis (Wijnhoven 2008, 2011). Die Arbeit von Toft (2015) über die Biologie von Nelima gothica in dänischen Dünenlandschaften gibt Anregungen, ebenso jene zur Ökologie über Ischyropsalis hellwigii im Niederbergischen Land (Löser 1977), jene von Hein et al. (2014) an Mitopus morio an norwegischen Populationen und eine Studie zur Habitatbindung von Gyas titanus und G. annulatus (Novak et al. 2004). Immer noch wenig bekannt sind Reifezeiten vieler Arten, besonders ihre Abhängigkeit von der Vertikal- und Horizontalverbreitung und deren Änderungen im Verlauf des Klimawandels. Bachmann & Schaefer (1983) geben Anregungen.
Morphologie. Sie ist von den einheimischen Arten keinesfalls durchwegs gut bekannt. Das zeigen die ausführlichen Arbeiten über die Entwicklung der Jugendstadien von Dicranolasma scabrum von Gruber (1993, 1996), über Form und Funktion der Pedipalpen, ihre Abwandlungen und Ausstattung mit Sensillen (Wolff et al. 2016a, 2016b), ebenso die Feinstruktur von Klebhaaren und Haarsensillen (Wijnhoven 2013, Wolff et al. 2016a, 2016b) oder das komplexe aus einzelnen Sinneshaaren zusammengefügte Sensillum auf der Legeröhre der Phalangiidae und Sclerosomatidae (Hoheisel & Martens 1990). Einen Überblick der äußeren Morphologie einheimischer Arten geben Eisenbeis & Wichard (1985).
Der direkten Samenübertragung der Weberknechte mittels Penis folgen die Milbenweberknechte, Cyphophthalmi, zumindest teilweise nicht. Karaman (2005) und Novak (2005b) zeigen, dass die Männchen von Arten der Gattung Cyphophthalmus den Weibchen nahe der Genitalöffnung eine Spermatophore applizieren, aus der die Spermien in die Legeröhre übertreten. Diesen Beobachtungen schließen sich Fragen an, u.a. nach Paarungsverhalten, Bau der Spermatophore und Übertragungsmodus der Spermien. Hier besteht Forschungsbedarf.
Pilze auf Weberknechten. Laboulbeniales bilden eine artenreiche Ordnung der Schlauchpilze. Sie sind obligatorisch mit lebenden Arthropoden vergesellschaftet, vor allem mit Käfern, Fliegen und Milben, und auf ihrem Wirt verbleiben sie lebenslang. Sie gelten als Parasiten, was nicht unumstritten ist. Erst neuerdings wurden Weberknechte als Wirte identifiziert: Dicranolasma hoberlandti Šilhavý, 1956 aus der Türkei, D. giljarovi Šilhavý, 1966 aus dem Kaukasus und D. opilionoides (C. L. Koch, 1867) aus Griechenland. Diese Pilze sind nur etwa 200 µm groß und somit auf ihren Wirten leicht zu übersehen. Bei den bisher einzigen Weberknechtfunden waren sie auf den Pedipalpen, seltener auf den Chelizeren plaziert (Santamaria et al. 2017). Weitere Neuentdeckungen sind zu erwarten, auch bei der Art aus unserem Besprechungsgebiet, D. scabrum (Herbst, 1799).
Checklisten
Faunenwerke und revidierte Artenlisten unterschiedlicher Ausführlichkeit und Kommentierung beziehen sich auf diese Gebiete:
Belgien (Vanherke 2010, 2018), Dänemark (Toft 2004, Skipper 2019), Deutschland (Muster et al. 2016), Finnland (Heinäjoki 1944, Uddström et al. 2013), Frankreich (Delfosse 2017), Großbritannien, nur Hauptinsel (Davidson 2019), Irland (Cawley 2002), Italien (Chemini 1994, Pantini & Isaia 2019), Kroatien (Novak 2004), Luxemburg (Muster & Meyer 2014), Mittel- und Nordeuropa (Blick & Komposch 2004), Niederlande (Spoek 1963, Wijnhoven 2009), Nordische Länder (Stol 2007, Bezděčka et al. 2017), Österreich (Komposch & Gruber 2004, Komposch 2011a), Polen (Rozwałka 2017), Slowenien (Novak et al. 2006), Tschechien (Bezděčka 2008, ČAS 2021), Slowakei (Stašiov 2004), Ungarn (Komposch 2004).
Besonders hervorzuheben sind Verbreitungskarten für die Britischen Inseln (Davidson 2019, British Arachnological Society 2021) und für Deutschland (Arachnologische Gesellschaft 2021a). Diese werden ständig aktualisiert; sie geben die Intensität der Erfassung wieder, ebenso die ständigen Änderungen der Fauna.
Taxonomischer Teil
Material und Methode
Die nachfolgende Aufstellung beruht auf einer möglichst umfassenden Literaturerhebung für die Weberknechtfauna im Berichtsgebiet ab 1978. Es umfasst neben Mitteleuropa große Teile Skandinaviens, die Britischen Inseln, das nicht mediterrane Frankreich, die Benelux-Staaten, den gesamte Alpenraum und reicht im Südosten bis nach Rumänien und Kroatien. Überdies fließen hier die Ergebnisse eigener vieljähriger Aufsammlungen ein und Auswertungen all‘jenes Materials, das ich von Freunden und Kollegen seither übermittelt bekam. Ihnen ist auch an dieser Stelle herzlich zu danken. Sämtliche Arten, die bis 2021 im Berichtsgebiet bekannt geworden sind, werden in der nachfolgenden Liste aufgeführt. Kommentare beschäftigen sich mit den Neuheiten des Gebietes, mit taxonomischen Änderungen, mit ergänzenden Verbreitungsangaben und Hinweisen auf Forschungsbedarf. Auf Abbildungen wird verzichtet, da alle neuen Arten in den Originalpublikationen gut dokumentiert sind.
Die Reihenfolge der Familien, Gattungen und Arten folgt, bis auf wenige Ausnahmen, jener bei Martens (1978).
Verwendete Abkürzungen: CJM Weberknecht-Sammlung J. Martens, Arbeitsunterlagen am Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie, Universität Mainz; später Arachnologische Sektion Forschungsinstitut Senckenberg, Frankfurt am Main; CTN Weberknecht-Sammlung Tone Novak, Slowenj Gradec, Slowenien.
Der Artenbestand
Cyphophthalmi
Sironidae
Siro Latreille, 1796 und Cyphophthalmus Joseph, 1868. Genetische Studien von Boyer et al. (2005) erwiesen, dass die Gattung Siro nur wenige europäische Arten umfasst, die punktuell von Südfrankreich, die Südalpen und die Ostalpen bis nach Polen verbreitet sind. Offensichtlich handelt es sich um eine Reliktgruppe mit wenigen Arten und weit disjunkten Vorkommen. Die Nachbargattung Cyphophthalmus (bisher Siro) ist auf der Balkanhalbinsel und in der Westtürkei weit verbreitet und hat dort eine Vielzahl kleinräumig verbreiteter ähnlicher Arten “explosiv“hervorgebracht (Karaman 2009, Murienne et al. 2010); nördlichste Vorkommen liegen in Österreich (Kärnten und Steiermark, Komposch & Gruber 2004).
Cyphophthalmus duricorius Joseph, 1868
Siro carpaticus Rafalski, 1956
Siro crassus Novak & Giribet, 2006. Dieser relativ große Milbenweberknecht (2,2–2,6 mm) wurde am Rande der Ostalpen Sloweniens entdeckt und ist dort sehr lokal verbreitet; zwei Fundorte sind bekannt: Velika Slavšina und Šega bei Makole, wo nur neun Exemplare aufgefunden wurden. Die Art lebt in tiefgründigen unzersetzten Buchenwald-Laubschichten und ist nur mit großem Aufwand aus tieferen Laub- und Bodenschichten zu isolieren (Novak & Giribet 2006, Novak et al. 1995a). Sie lebt immer zusammen mit dem kleineren und viel häufigeren Cyphophthalmus duricorius. Inzwischen wurde wahrscheinlich diese Art im österreichischen Bundesland Steiermark gefunden (Raspotnig et al. 2011).
Siro valleorum Chemini, 1990. Das ist eine wichtige und unerwartete Entdeckung aus den Bergamasker Alpen (Provinzen Bergamo und Brescia) in Norditalien (Chemini 1990). Das bisher bekannte Areal ist sehr klein und beschränkt sich auf den Berg Alben, dort in einer Höhe zwischen 1200 und 1300 m in Laubwald; nur ein Exemplar stammt von Pezzero in der Provinz Brescia. Aus dem Fundgebiet der exponierten Südalpen sind auch andere Weberknecht-Endemiten bekannt. S. valleorum gehört in die Verwandtschaft von S. crassus aus den Nordostalpen und S. rubens Latreille, 1802 aus dem Zentralmassiv in Südfrankreich. Das Verbreitungsgebiet der europäischen Arten der Gattung Siro Latreille, 1796 erscheint reliktär; es liegt auf einem geografischen Bogen von Südfrankreich mit S. rubens über Norditalien mit S. valleorum und Slowenien mit S. crassus bis nach Polen und in die Slowakei mit S. carpaticus Rafalski, 1956. Diese Arten repräsentieren offensichtlich alte, heute weit getrennte Verbreitungspunkte früher größerer Areale.
Sironidae gen. sp. Raspotnig et al. (2011) berichten von einer winzigen Sironidae-Art aus Kärnten, kleiner noch als der in den östlichen Südalpen weit verbreitete Cyphophthalmus duricorius und stellen sie in einem Foto vor. Diese Art ist bisher nicht mit Namen belegt.
Laniatores
Cladonychiidae
Peltonychia Roewer, 1935. Nach Derkarabetian et al. (2018) muss die Gattung Peltonychia zu den Cladonychiidae gestellt werden, bei Martens (1978) stand sie noch bei den Travuniidae.
Peltonychia gabria Roewer, 1935, Peltonychia postumicola (Roewer, 1935), Peltonychia tenuis Roewer, 1935. Diese drei winzigen Arten wurden von Roewer (1935) für zwei slowenische Höhlen (P. postumicola: Adelsberger Grotte = Postojna, P. tenuis: Martinova Jama bei Matteria = Materija) und eine italienische (P. gabria: Gabria Jama = Grotta dei Colombi nahe Basovizza) genannt und von dort als neue Arten beschrieben. Diese Funde schürten Zweifel, ob sie tatsächlich zur slowenischen und italienischen Fauna gehören und von den angegebenen Orten stammen könnten (Novak & Gruber 2000). Das gilt besonders für die Adelsberger Grotte, in der seit über einhundert Jahren höhlenkundlich gearbeitet wird; Laniatores konnten dort nie entdeckt werden. Thaler (1996) wies darauf hin, dass die Abbildungen dieser Arten in Martens (1978) jenen von Peltonychia clavigera (Simon, 1879) außerordentlich ähnlich sind und diesen entsprechen. Die drei fraglichen Arten sind als synonym zu P. clavigera zu betrachten und aus der Liste der mitteleuropäischen Arten zu streichen. P. clavigera ist aus den Pyrenäen bekannt; die südalpinen Nennungen sind zweifellos nicht korrekt.
Wenngleich Arten der Gattung Peltonychia gegenwärtig in Europa nur lokal vorkommen und nur eine Art in unserem Gebiet, sei dennoch auf eine bemerkenswerte Disjunktion hingewiesen, die vor allem die Pyrenäenart Peltonychia clavigera betrifft. Zhang & Derkarabetian (2021) beschreiben aus einer chinesischen Höhle in der Nähe von Peking eine troglobionte Laniatores-Art und stellen sie zu den Cladonychiidae, dort in eine neue Gattung mit einer neuen Art, Sin-onychia martensi Zhang & Derkarabetian, 2021. Die Autoren verweisen auf auffällige genitalmorphologische Ähnlichkeit mit einer ebenfalls troglobionten Art aus dem westlichen Nordamerika, Speleonychia sengeri Briggs, 1974 (Briggs 1974), erwähnen aber nur am Rande ähnliche troglobionte Arten in Europa. Sie würdigen nicht hinreichend, dass die genitalmorphologische Ähnlichkeit zwischen S. martensi und P. clavigera ähnlich groß ist, wenn nicht gar größer als jene zwischen S. martensi und S. sengeri (Abbildungen für P. clavigera in Martens 1978 und Thaler 1996). Zhang & Derkarabetian (2021) ziehen in Erwägung, dass troglobionte Lebensweise zu morphologischen Ähnlichkeiten führt, was für Augenverlust und verlängerte Extremitäten hinreichend bekannt ist. Dieses Argument kann indes nicht für einfach gebaute genitalmorphologische Strukturen herangezogen werden. Der Penistyp der Cladonychiidae gehört mit einem inneren Muskel der Funktionsweise des Muskel-Sehnen-Prinzips an – die Glans wird gegen den Truncus bewegt (Martens 1976, 1986). Penes der Arten dieser Familien, auch außerhalb der Laniatores, sind aus funktionalen Gründen im Glansbereich fast immer strukturarm; das hat nichts mit Vereinfachungen bedingt durch Höhlenleben zu tun. Die verblüffende genitalmorphologische Übereinstimmung zwischen der europäischen und der chinesischen Art ist vielmehr als nahe Verwandtschaft zu deuten; ich halte die beiden Verbreitungsgebiete für Reliktareale, die auf alte, früher zusammenhängende Verbreitungsgebiete weisen. Wie sich der nordamerikanische S. sengeri hier einreiht, muss genauer definiert werden.
Peltonychia leprieuri (Lucas, 1860). Martens (1978) konnte die männliche Genitalmorphologie nicht darstellen; das hat Chemini (1985b) nachgeholt.
Holoscotolemon Roewer, 1915. Die Gattung umfasste bisher fünf Arten, vier davon im Erfassungsgebiet, drei aus den Alpen. Die größte Verbreitung hat H. unicolor Roewer, 1915 in den Ostalpen, H. oreophilum Martens, 1978 in den italienischen Südwest-Alpen und H. lessiniense Martens, 1978 in den Lessinischen Alpen östlich des Gardasees – beides eiszeitliche Überdauerungsgebiete. Zu diesen Endemiten fügen Tedeschi & Sciaky (1994) drei weitere Arten hinzu, zwei davon in unserem Erfassungsgebiet: H. naturae Tedeschi & Sciaky, 1994 und H. franzinii Tedeschi & Sciaky, 1994, ferner H. monzinii Tedeschi & Sciaky, 1994 in den nördlichen Apenninen außerhalb des Besprechungsgebietes. Die Arteigenständigkeit der zusätzlichen südalpinen Arten ist bis jetzt nicht geprüft und ausgearbeitet. Habituell sind sich alle Arten überaus ähnlich, auch genitalmorphologisch.
Holoscotolemon unicolor Roewer, 1915
Holoscotolemon jaqueti (Corti, 1905). Inzwischen im Erfassungsgebiet in Ungarn nachgewiesen worden (Komposch 2004).
Holoscotolemon lessiniense Martens, 1978
Holoscotolemon oreophilum Martens, 1978
Holoscotolemon naturae Tedeschi & Sciaky, 1994. Das Verbreitungsgebiet liegt westlich des Gardasees in den Voralpen von Brescia. Das Areal ist von dem des H. lessiniense durch das Adige-Tal, den Monte Baldo und den Gardesee getrennt. Die Merkmale sind nahe an denen von H. lessiniense; als kennzeichnend werden vier Dornen auf der ventro-lateralen Seite der männlichen Pedipalpen-Tibia angegeben gegenüber fünf bei lessiniense. Auch genitalmorphologische Unterschiede sind gering; das distale Ende des Truncus ist deutlich breiter als die Glans. Eine Überprüfung erscheint angebracht.
Holoscotolemon franzinii Tedeschi & Sciaky, 1994. Diese Art wurde aus dem Brembana-Tal der Bergamasker Voralpen bekannt und ist habituell von den anderen südalpinen Arten kaum zu unterscheiden. Grundglied der Chelizeren mit drei größeren dorsalen Dornen und mehreren kleinen; distales Ende des Truncus etwas breiter als die Glans. Auch hier erscheint eine Überprüfung wichtig.
Assamiidae
In Warmhäusern des Palmengartens in Frankfurt am Main sammelte S. Lauterbnach 2017 und 2020 mehrere adulte und juvenile Individuen einer unbekannten Assamiidae-Art, erstmals in Deutschland (Abb. 3). Dort haben sie offenbar eine über Jahre hinweg stabile Population gebildet, und sie pflanzen sich auch fort, wie Jungtiere belegen. Die Herkunft dieser Art ließ sich bisher nicht einengen, auch nicht ob sie aus dem tropischen Asien oder aus der Afrotropis stammt. Die taxonomische Aufarbeitung der Gattungen aus beiden Großregionen ist unbefriedigend, selbst für die Unterfamilien besteht keine Einigkeit, und zahlreiche Arten sind bisher unbeschrieben. Zumindest die Arten der Assamiinae sind leicht zu erkennen (Abb. 3): Stark mit Dornen und kräftige abgewandelte Sinneshaare auf den Pedipalpen bilden den „raptorial“(Wolff et al. 2016b) Typ des Pedipalpus und sind auffällig. Das Femur des Palpus ist stark kompress, die übrigen Palpenglieder im Querschnitt deutlich dreidimensional aufgebaut. Die Palpen der Jungtiere erscheinen grundlegend verschieden. Femur und Patella sind unbewehrt und im Querschnitt rund, Tibia und Tarsus bilden eine „Greifhand“mit drei (Tibia) bzw. vier (Tarsus) langen Apophysen mit aufgesetztem modifizierten Sinneshaar (Abb. 3i, k). Diese Merkmale sind in allen Einzelheiten einschließlich der Proportionen der Palpenglieder für eine Art aus Nepal beschrieben worden (Martens 1977). Diese ist nach anderen Merkmalen von der ‘Frankfurter Art’ deutlich verschieden. Ein sicheres Kennzeichen für Assamiinae sind die am Prosoma-Frontalrand vorragenden Apophysen, zumeist je zwei lateral, eine median (Abb. 3d).
Phalangodidae
Scotolemon doriae Pavesi, 1878. Diese winzige Art der europäischen Krallenweberknechte wurde 2017 in Südengland aufgefunden (Bilton 2018, Davidson 2019), offensichtlich aus dem zentralen Mittelmeergebiet verschleppt, wo sie weit verbreitet ist (Martens 1978). Sie wurde um Plymouth an synanthropen Stellen festgestellt, auffälligerweise zusammen mit der ebenfalls eingeschleppten Nemastomella bacillifera. Iorio & Delfosse (2016) fanden S. doriae inmitten von Paris in einem Garten, ebenfalls weit vom Originalareal abgesprengt.
Palpatores
Nemastomatidae
Nemastoma bimaculatum (Fabricius, 1775)
Nemastoma triste (C. L. Koch, 1835)
Nemastoma schuelleri Gruber & Martens, 1968
Nemastoma lugubre (Müller, 1776). Der Östliche Silberfleckkanker hat eine viel weiter nach Osten reichende Verbreitung als bei Martens (1978) verzeichnet ist. Nachweise reichen bis in den Ural an der Grenze zu Sibirien (Farzalieva & Esyunin 2000). Damit zeichnet sich N. lugubre durch ein für Nemastomatiden sehr großes Areal aus. Diese Art ist als glazialer Rückkehrer auf weite Distanz einzustufen, der Mitteleuropa wahrscheinlich aus einem weit östlich gelegenen Refugium neu besiedelt hat.
Nemastoma bidentatum Roewer, 1914. Dieser kleine Nemastomatide fällt durch markante geografisch definierte Subspeziesbildung auf; zwei der drei Formen leben eng begrenzt in Hochlagen der Ostalpen, die dritte, sparsum, weit nach Osten ausgedehnt bis in den Westkaukasus (Gruber & Martens 1968, Martens 2006). Neue Funde zweier Subspezies weit nördlich der Alpen sind ungewöhnlich und eventuell durch Verschleppung bzw. durch Verdriftung entlang großer Flüsse zu erklären. Dafür spricht, dass drei der außeralpinen Populationen in unmittelbarer Flußnähe der Elbe bzw. auf einer Insel in der Weser lebten.
Es sei darauf hingewiesen, dass die bidentatum-Formen ein kompliziertes Mosaik von Populationen bilden, die in nächster Nachbarschaft sowohl lokal unvermischt bleiben und sich wie eigene Arten verhalten, als auch an anderen Stellen hybridisieren und Vermischungszonen entwickelt haben. Da alle bidentatum-Formen genitalmorphologisch sehr einheitlich sind, gilt als gut trennendes Merkmal für Arten, Unterarten und lokale Populationen die Form der Apophyse der männlichen Chelizeren. Noch eingehendere Untersuchungen als sie Gruber & Martens (1968) und Martens (1978) leisten konnten, sind auf der Basis möglichst vieler Merkmalskomplexe erwünscht und könnten deutlich zur jüngeren Evolutionsgeschichte europäischer Weberknechte beitragen.
Nemastoma bidentatum bidentatum Roewer, 1914. Aufsammlungen mittels Bodenfallen erbrachten den Nachweis einer großen Population auf der Weserinsel Harriersand bei Brake. Fänge in zwei Jahren mit vierjährigem Abstand deuten auf eine vitale Population (Schönhofer & Holle 2007). Diese Popuation wurde 2011 erneut bestätigt (Muster pers. Mitt.). Dort lebt syntop, wenngleich deutlich seltener, auch Nemastoma lugubre. Das kleine autochthone Areal liegt in den Südostalpen Österreichs und Sloweniens, auch im benachbarten Italien (Gruber & Martens 1968, Martens 1978).
Nemastoma bidentatum sparsum Gruber & Martens, 1968. Nachweise im sächsischen Elbebereich im Elbsandsteingebirge bei Pirna, Schmilka und Bad Schandau, ferner zwischen Schmilka und Hřensko auf der tschechischen Seite deuten auf ein vergleichsweise großes Siedlungsgebiet und eine lebensfähige selbsterhaltende Population außerhalb des Hauptareals (Schönhofer & Holle 2007). Zu den Nachweisen an der Elbe gehört ein Fund bei Meißen (Arachnologische Gesellschaft 2021a) und ein Vorkommen ebenfalls im Einzugsbereich der Elbe bei Prag (Řezáč 2020). Ein Nachweis im thüringischen Nationalpark Hainich steht bislang weithin isoliert. Eine weitere Nennung für Nieme in Niedersachsen ist taxonomisch nicht eingeengt (Arachnologische Gesellschaft 2021a).
Nemastoma bidentatum relictum Gruber & Martens, 1968. Das ist die morphologisch und ökologisch besonders differenzierte Unterart der bidentatum-Gruppe, die noch heute in einem alpin-glazialen Refugialgebiet lebt (Martens & Gruber 1968, Martens 1978). Möglicherweise hat sie Artstatus erreicht, worauf schon früher hingewiesen wurde.
Nemastoma dentigerum Canestrini, 1873. Seit etwa 1970 ist in Deutschland eine starke Arealerweiterung zu beobachten, die inzwischen das westliche Polen erreicht hat (Rozwałka 2017). Die Nachweise erstrecken sich gegenwärtig vom südlichen Bayern nördlich bis Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, allerdings mit großen Lücken in Norddeutschland und Teilen von Bayern (Arachnologische Gesellschaft 2021a). Erfassungslücken sind nicht auszuschließen; Nachweise auch westlich von Deutschland sind zu erwarten.
Saccarella schilleri Schönhofer & Martens, 2012. Dieser winzige tief schwarze Nemastomatide, der habituell dem Nemastoma triste (C. L. Koch, 1835) ähnlich ist, wurde am westlichen Rand der italienischen Ligurischen Alpen am Fuße des Monte Saccarello aufgefunden (Schönhofer & Martens 2012). Außer der Typenserie mit acht Exemplaren wurde trotz intensiver Nachsuche in mehreren Jahren nur drei weitere Männchen entdeckt, eines an der Typuslokalität und zwei bei Sampeyre (Cuneo), Pendici Testa di Garitta Nuova, am 11. Jun. 2016 von G. Gardini (44.61056°N, 7.21417°E, 1950 m ü. NN) (CTN 62/2018; Novak pers. Mitt.). Die Art wurde in subalpinen Waldrandhabitaten und Gebüschen an Bacheinschnitten mit Erlengebüsch (Alnus) beim Dorf Monesi di Triora auf 1400 m und auf 1475 m und bei Sampeyre auf 1900 m gefunden. Das einzelne Männchen von Monesi di Triora siebte A. Schönhofer am 30. Aug. 2014 aus tief zwischen Gesteinsschotter eingebettetem Mulm und Humus (44.07073°N, 7.74849°E, 1460 m ü. NN; Coll. A. Schönhofer 1706). An dieser Stelle war Nemastoma dentigerum der bei weitem häufigste Kleinweberknecht. Weitere Funde sind dringend erwünscht.
Nach Penis- und Chelizeren-Merkmalen wurde für diese Art innerhalb der Nemastomatinae die neue Gattung Saccarella Schönhofer & Martens, 2012 errichtet.
Paranemastoma quadripunctatum (Perty, 1833)
Paranemastoma bicuspidatum (C. L. Koch, 1834)
Paranemastoma kochi (Nowicki, 1870)
Paranemastoma silli (Herman, 1871). Paranemastoma silli monticola Babalean, 2011 aus den rumänischen Karpaten (Babalean 2011) wurde seit der Erstbeschreibung nicht mehr erwähnt. Hier liegt eine eigenständige Art vor, keine Subspezies von P. silli; sie ist gut kenntlich durch tiefschwarze Färbung des Körpers und differierende Chelizeren- und Genitalmorphologie (Typenserie J. M. rev.). Die Typen wurde in 2300 m Höhe am Munţii Parâng-Vârful Mohorul beim See Câlcescu gesammelt. Inzwischen liegen weitere Funde ebenfalls aus der Mattenzone der Karpaten vor (leg. H. Meybohm, CJM). Der korrekte Name muss Paranemastoma monticola Babalean, 2011 stat. nov. lauten. Eine detaillierte taxonomische Aufarbeitung fehlt bisher.
Histricostoma dentipalpe (Ausserer, 1867)
Histricostoma argenteolunulatum (Canestrini, 1875)
Carinostoma Kratochvíl, 1958. Einen Überblick über die drei Arten der Gattung geben Šestáková & Mihál (2014) und fügen eine genaue Punktkarte mit Literaturanalyse an.
Carinostoma carinatum (Roewer, 1914)
Carinostoma elegans (Sørensen, 1894)
Centetostoma centetes (Simon, 1881)
Mitostoma chrysomelas (Hermann, 1804)
Mitostoma alpinum (Hadži, 1931)
Mitostoma anophthalmum (Fage, 1946)
Mitostoma orobicum (Caporiacco, 1949). Martens (1978) hatte M. orobicum als Synonym zu M. chrysomelas (Hermann, 1804) gestellt, was Chemini (1985b) berichtigte. Die große Apophyse auf dem Chelizerengrundglied des Männchens weist auf eine gut kenntliche Art; sie ist ein kleinräumig verbreiteter Endemit der italienischen Orobischen Alpen.
Mitostoma daccordii Tedeschi & Sciaky, 1997. Diese Art wurde nach Material von der Cima Posta aus den Monti Lessini in den norditalienischen Voralpen beschrieben; es lag nur ein Männchen vor. Tedeschi & Sciaky (1997) geben selbst an, dass diese Art dem Mitostoma orobicum sehr ähnlich sei, vor allem nach der kennzeichnenden Form der Apophyse auf dem Chelizeren-Grundglied der Männchen. Mitostoma daccordii ist nie revidiert worden; eine Neubewertung ist erforderlich.
Nemastomella bacillifera (Simon, 1879). Diese Pyrenäen-Art wurde im Berichtsgebiet in einem kleinen Gebiet in Devon in Großbritannien entdeckt (Smithers & Hogg 1991); Arealerweiterungen wurden bisher nicht beobachtet. Dieser Arealpunkt beruht auf Einschleppung (Davidson 2019).
Hadzinia ferrani Novak & Kozel, 2014. Diese Art repräsentiert den zweiten troglobionten Nemastomatiden der Alpen mit allen entsprechenden morphologischen Umbildungen (Novak & Kozel 2014). Sie ist augenlos, hat depigmentiertes, weiches gelbliches Exoskelett und überaus lange Palpen und Beine. Gefunden wurde H. ferrani in der Ferranova buža Höhle beim Ort Vrhnika in Zentral-Slowenien. Die Höhle befindet sich im Karst des Ulovka-Berges auf 660 m mit extremen ökologischen Bedingungen. In 70 m Tiefe, wo H. ferrani gefunden wurde, herrschen in dieser Höhle Temperaturen von 7,6°C bis etwas über 10°C. Der zweite Fundort von H. ferrani liegt in 30 km Entfernung in der Höhle Križna jama. Dieser neue Fund kam ganz überraschend, da Križna jama die biologisch bestuntersuchte Höhle in Slowenien und seit etwa 70 Jahren für die Öffentlichkeit zugänglich ist (Kozel et al. 2020). Hadzinia ferrani repräsentiert die zweite Art der Gattung Hadzinia Šilhavý, 1966; die andere Art, H. karamani (Hadži, 1940) lebt in Höhlen in Bosnien und Herzegowina und in Kroatien, dort in der Höhle Cerovačke pećine (Karaman 2013). Der zweite Höhlen-Nemastomatide der Alpen ist Mitostoma anophthalmum (Fage, 1946) aus den Bergamasker Alpen.
Nemaspela Šilhavý, 1966. Zwei Arten der Gattung Nemaspela, die neuerdings auf der Balkanhalbinsel entdeckt wurden, somit außerhalb unseres Erfassunsgbereiches, deuten auf zoogeografische Beziehungen zum Kaukasus und zur Krim, wo die meisten dieser ausnahmslos hochspezialisierten troglobionten Arten leben. Nemaspela borkoae Kozel, Delić & Novak, 2020 stammt aus dem Dinarischen Karst Montenegros (Kozel et al. 2020) und Nemaspela ladae Karaman, 2013 aus Höhlen im Berg Romanija in Bosnien (Karaman 2013).
Dicranolasmatidae
Dicranolasma Sørensen, 1873. Die Gattung umfasst 16 Arten, die Gruber (1998) in fünf Gruppen von Untergattungsrang aufgliedert. Die Verbreitung ist mediterran von den Küstengebieten Spaniens und Nordafrikas bis in das anatolische Hochland, die Pontischen Gebirge, den Kaukasus und lokal bis in den Irak (Gruber 1998).
Dicranolasma scabrum (Herbst, 1799). Zu dieser Art hat Gruber (1993, 1996) eine umfassende Darstellung der Fortpflanzung, der Entwicklung des Wachstums und der Ökologie und Biologie vorgelegt.
Dicranolasma soerenseni Thorell, 1876
Dicranolasma cristatum Thorell, 1876
Dicranolasma pauper Dahl, 1903
Trogulidae
Trogulus Latreille, 1802. Martens (1978) behandelt vier Arten aus unserem Gebiet; seither werden drei neue Arten zusätzlich genannt (T. martensi, T. cisalpinus, T. falcipenis). Die „klassischen“Arten wurden indes nie gründlich revidiert, auch die drei Neubeschreibungen aus Rumänien nicht (Avram 1971). Molekulargenetische Arbeiten zeigen, dass die Vielfalt der Trogulus-Fauna sogar in Mitteleuropa weit unterschätzt wurde. Nur durch diese neue Technik ließ sich zeigen, dass sich sowohl um T. nepaeformis als auch um T. tricarinatus mehrere bisher unerkannte Arten gruppieren (Majcen 2006). Die extreme morphologische Homogenität nahezu aller Trogulus-Arten, abgesehen von der Körpergröße, verhinderte seit jeher, die Formenfülle selbst in Mitteleuropa korrekt zu analysieren. Erst jetzt können wir die relativ geringen genitalmorphologischen Unterschiede auch nahe verwandter Trogulus-Arten erkennen und entsprechend interpretieren (Schönhofer 2009). Unser Gebiet betreffend hat sich die genetische Analyse für die kleinen Arten der falcipenis-Gruppe und die generelle genetische Aufarbeitung aller erreichbaren Trogulus-Formen als sehr hilfreich erwiesen (Schönhofer 2009, Schönhofer & Martens 2008, 2009, 2010a); elf Populationen hauptsächlich aus dem Mittelmeergebeiet wurden als neue Arten beschrieben. Weitere Arten von der Balkanhalbinsel und aus dem Nahen Osten bleiben zu bearbeiten; selbst in Mitteleuropa einschließlich der Alpen ist die Analyse nicht abgeschlossen.
Trogulus nepaeformis (Scopoli, 1763). Hier kann erwähnt werden, dass T. nepaeformis im Sinne der ursprünglichen Beschreibung von Scopoli (1763) in Deutschland und unmittelbar angrenzenden Gebieten möglicherweise nicht vorkommt, wohl aber in Slowenien und im südöstlichen Österreich. Locus typicus ist Idrija in Westslowenien westlich von Ljubljana; hier hat Scopoli selbst gesammelt (Novak pers. Mitt.); der Ort liegt auf 450 m Höhe.
Im Mitteleuropa kommt neben T. closanicus, der wahrscheinlich häufigsten Art der mittelgroßen Trogulus-Arten, und T. martensi, die nur regional in SW-Deutschland lebt (siehe oben), noch eine weitere weit verbreitete und morphologisch halbwegs gut abgrenzbare Art vor, die derzeit als T. nepaeformis geführt wird. Das ist auch jene Art, die Wijnhoven et al. (2014) als nepaeformis charakterisierten. Ob diese Art mit Scopolis nepaeformis konspezifisch ist, bleibt unsicher und bedarf gründlicher Revision.
Trogulus tricarinatus (Linnaeus, 1767). In Mitteleuropa ist die weit verbreitete Art nahezu ausschließlich parthenogenetisch, ihre Typuslokalität ist „Sachsen“(Martens 1978); sehr lokal kommen nördlich der Alpen auch zweigeschlechtliche Populationen vor. Sie sind aus Deutschland in Sachsen (Sammlung Mus. Dresden) und in Sachsen-Anhalt nachgewiesen worden (Komposch 2019), desgleichen sind in den östlichen Niederlanden zwei Populationen bekannt, in denen Männchen auftreten (Wijnhoven et al. 2014). Desgleichen wird T. tricarinatus in den slowenischen Alpen und in Teilen der Balkanhalbinsel von wenigstens einer unbeschriebenen, kleinräumig verbreiteten Art vertreten. Genitalmorphologisch sind in Slowenien drei Trogulus-Arten aus dieser Gruppe nachweisbar (Majcen 2006); die Namengebung ist bisher unklar. Die Abb. 273-274 in Martens (1978) zeigen den Penis einer der südostalpinen vermutlich neuen Arten des tricarinatus-Komplexes. Bis zu einer abschließenden genetisch-taxonomischen Aufarbeitung muss der bisherige Name weiterverwendet werden.
Trogulus falcipenis Komposch, 2000. Diese gut kenntliche kleine Art hat sich als Mitglied eines Schwarmes nahe verwandter allopatrischer Arten der Balkanhalbinsel erwiesen, der Trogulus hirtus-Gruppe. Trogulus falcipenis ist die nördlichste Art, die das österreichische Kärnten mit wenigen Fundorten erreicht (Komposch 2000); in Slowenien ist sie weit verbreitet und erreicht Italien im Grenzgebiet zu Slowenien. Die T. hirtus-Gruppe ist auf der (westlichen) Balkanhalbinsel weit verbreitet und zählt gegenwärtig sechs Arten. Südlichste bisher bekannte Fundorte liegen in Nordwest-Griechenland (Schönhofer & Martens 2009).
Trogulus martensi Chemini, 1983. Dieser mittelgroße Trogulide gehört in die Verwandtschaft von T. nepaeformis und wurde aus dem norditalienischen Trentino beschrieben (Chemini 1983). Bald wurden Nachweise aus der Schweiz und aus Deutschland bekannt (Weiss et al. 1998, Schönhofer 2009), was sich über molekulargenetische Analyse im Vergleich nach Tieren von der Typuslokalität bestätigen ließ. T. martensi gilt heute als Art der klimatisch milden Flusstäler in Südwest-Deutschland, vor allem in Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg (Arachnologische Gesellschaft 2021a: https://atlas.arages.de/species/1343). Weiterhin liegen Funde aus der Nordwest-Schweiz und dem dort angrenzenden Frankreich (Elsass) vor (Weiss et al. 1998). Aus Österreich sind noch keine Funde bekannt (Komposch pers. Mitt.).
Trogulus cisalpinus Chemini & Martens, 1988. Diese Art ähnelt T. nepaeformis, ist jedoch kleiner. Nachweise stammen aus den südlichen Zentralalpen Italiens (Locus typicus sind Bergamo und Trento in der Provinz Como; Chemini & Martens 1988). Nachweise aus dem österreichischen Südkärnten liegen aus den Steiner Alpen (Komposch & Gruber 2004) und aus den Karnischen Alpen vor (Komposch pers. Mitt.). Eine molekulargenetische Analyse steht aus.
Trogulus banaticus Avram, 1971. Diese Art ist aus Rumänien beschrieben worden; sie ist entlang des Karpatenbogens verbreitet und reicht über die serbischen Gebirge nach Montenegro, Bosnien und Herzegovina, vermutlich über Kroatien (dort noch keine Nachweise) und erreicht in Südwest-Slowenien mit wenigen Nachweisen unser Erfassungsgebiet (Schönhofer & Novak 2011). Früher wurde T. banaticus mit T. coriziformis und T. graecus Dahl, 1903 verwechselt; diese mussten von der slowenischen Liste gestrichen werden. Noch ähnlicher ist T. banaticus dem T. tingiformis, mit dem er zusammen vorkommen kann. Trogulus banaticus ist kleiner, die Proportionen der Pedipalpen differieren; auch genitalmorphologisch unterscheiden sich beide Arten.
Trogulus closanicus Avram, 1971. Auch diese Art wurde aus Rumänien beschrieben, aber von Martens (1978) als Synonym von T. nepaeformis betrachtet. Weiss (1978) wies auf syntope Verkommen von T. closanicus mit T. nepaeformis in Rumänien hin und trennte beide morphometrisch. Die Merkmale wurden von Chemini (1984) erneut erörtert, und seitdem gilt die Art als valide mit weiter Verbreitung (auch) in Deutschland, den Beneluxländern (Muster & Meyer 2014, Vanhercke & Wijnhoven 2017, Wijnhoven at al. 2014), Tschechien (Bezděčka et al. 2011), Österreich und Slowenien. Die Penis-Abb. 270 in Martens (1978) nach einem Männchen aus den Karawanken in Kärnten bezieht sich auf T. closanicus.
Trogulus tingiformis C. L. Koch, 1847. Eine große Art der Ostalpen; der Locus typicus liegt in den Bayerischen Alpen. Eine molekulargenetische Sequenz wurde von Astrin et al. (2016) publiziert. Nahe Verwandte von T. tingiformis leben in den Westalpen und in den Pyrenäen; sie bedürfen noch der wissenschaftlichen Beschreibung (Schönhofer pers. Mitt.).
Trogulus coriziformis C. L. Koch, 1839. Nur die Nachweise in Nordwest-Italien an der nördlichen Arealgrenze in La Spezia, Ligurien, können als Nennung für unser Gebiet gelten (Schönhofer & Martens 2008). Erwähnung für die französischen Meeralpen (Martens 1978) bezieht sich auf T. cristatus (vgl. unten). Auf diese Art stützt sich die Abb. 275 in Martens (1978).
Trogulus cristatus Simon, 1879. Das ist ein kleinräumig verbreiteter Endemit der französischen Meeralpen und des angrenzenden italienischen Ligurien; eine Verbreitungslücke trennt ihn vom italienischen Trogulus coriziformis (Schönhofer & Martens 2008). Martens (1978) hatte die beiden sehr ähnlichen Arten nicht getrennt; Klarheit brachte die Molekulargenetik (Schönhofer & Martens 2008).
Anelasmocephalus cambridgei (Westwood, 1874)
Anelasmocephalus rufitarsis Simon, 1879
Anelasmocephalus hadzii Martens, 1978. Komposch (1992) hat eine detaillierte Studie zur Morphologie, Verbreitung und Bionomie vorgelegt.
Anelasmocephalus tenuiglandis Martens & Chemini, 1988. Die hohe Artenzahl dieser Klein-Troguliden wurden lange unterschätzt, da die feinen Unterschiede in Genitalmorphologie und Tarsalgliederung nicht erkannt worden waren. Martens & Chemini (1988) beschrieben sechs neue Arten vor allem aus dem westlichen Mittelmeergebiet, darunter A. tenuiglandis aus den südlichen französischen Westalpen. Maßgebend für die Artabgrenzung innerhalb der Gattung ist die einheitliche Tarsalgliederung der Laufbeine für die Eingrenzung von Artengruppen mit nächst verwandten allopatrischen Arten. Die männliche Genitalmorphologie erbringt die Abgrenzung der einzelnen Arten. Martens (1978) hatte bereits je eine neue Art aus den Pyrenäen und aus den Ostalpen als neu erkannt; gegenwärtig zählt die Gattung 13 Arten.
Ischyropsalididae
Ischyropsalis hellwigii hellwigii (Panzer, 1794). Bisher galt die Meinung, dass I. h. hellwigii den Rhein bei der nacheiszeitlichen Wiederbesidlung Mitteleuropas nicht nach Westen überschritten hätte (Martens 1969, 1978); das ist zu revidieren. Inzwischen liegt ein adultes Männchen vor, dass in einer Bodenfalle in einem submontanen Buchenwald in der Eifel bei Hönningen gefangen wurde (Bach 2016, Bach et al. 2018). In der Eifel sollte weiterhin nach Ischyropsalis gefahndet werden. Die derzeitige nördliche Arealgrenze ist gegenüber der früheren Darstellung bei Martens (1978) nur unwesesentlich verändert. Sie verläuft nahe des Nordrandes der Mittelgebirge etwa in einer Linie von Münster, über südlich von Osnabrück nach Braunschweig, nördlich von Leipzig und etwa von Dresden zur tschechischen Grenze (Arachnologische Gesellschaft 2021a: https://atlas.arages.de/species/3204).
Ischyropsalis hellwigii lucantei Simon, 1879. Diese Subspezies ist das südwestliche Pendant der ansonsten auf Mitteleuropa beschränkten Nominatform. Hier liegt eine eiszeitlich bedingte Disjunktion vor; Refugialgebiete lagen auf der Balkanhalbinsel (hellwigii) und in den West-Pyrenäen (lucantei). Nur h. hellwigii hat ihr Areal postglazial massiv nach Nordwesten erweitert.
Ischyropsalis strandi Kratochvíl, 1936 (Abb 4e-f). Ökologische Erhebungen zu dieser rein troglobionten Art hat Juberthie (1963) mitgeteilt.
Ischyropsalis dentipalpis Canestrini, 1872. Ein Synoym ist I. helvetica (Schönhofer & Martens 2010b); vgl. bei I. lithoclasica.
Ischyropsalis muellneri Hamann, 1898. Basierend auf widersprüchlichen Literaturangaben, vor allem Fehlbestimmungen, die z.T. auf inkorrekten Verbreitungsangaben beruhten, hat Martens (1969, 1978) die troglobionte I. muellneri vom italienisch-slowenischen Grenzgebiet südlich bis Mazedonien geführt; das ist inkorrekt. Entlang der adriatischen Küstengebiete und ihres Hinterlandes in Bosnien und Herzegowina, Dalmatien und Montenegro wurden trotz intensiver Nachsuche in Höhlen nie Ischyropsalis-Individuen gefunden (Kratochvíl 1946), was Novak (2004) ausdrücklich bestätigt. Ischyropsalis muellneri besiedelt lediglich ein winziges Areal in den Julischen Alpen und im angrenzenden italienischen Venezia-Giulia (Novak et al. 1995a, 1995b, Novak & Gruber 2000).
Ischyropsalis kollari C. L. Koch, 1839
Ischyropsalis hadzii Roewer, 1950 (Abb. 4c)
Ischyropsalis ravasinii Hadži, 1942
Ischyropsalis alpinula Martens, 1978. Eine kleinwüchsige äußerlich dem Pyrenäen-Scherenkanker I. pyrenaea Simon, 1872 (aus den französischen Zentralpyrenäen) ähnliche Population aus den Cottischen Alpen stellte Martens (1978) als geografisch weit disjunkte Subspezies zu dieser Art und nannte sie I. p. alpinula Martens, 1978. Schönhofer et al. (2015) zeigten, dass diese Zuordnung nicht stimmt; das Taxon alpinula ist mit anderen südalpinen Ischyropsalis-Arten nach molekulargenetischer Analyse nächst verwandt, aber mit keiner von ihnen synonym. Sie erkannten dieser kleinräumig verbreiteten Population Artrang zu, Ischyropsalis alpinula Martens, 1978.
Ischyropsalis carli Lessert, 1905 (Abb. 4a-b)
Ischyropsalis manicata L. Koch, 1869
Ischyropsalis lithoclasica Schönhofer & Martens, 2010 (Abb. 4d). Scherenkanker-Arten der Südalpen, zu denen I. lithoclasica gehört, sind große Tiere mit besonders langen Chelizeren. Sie leben in hohen Gebirgslagen, und die meisten dieser Arten sind schwer auseinander zu halten. Die Artengruppe lebt überwiegend in den südlichen eisfrei gebliebenen Gebirgsmassiven, z.T. sogar ausschließlich in Höhlen. Ischyropsalis dentipalpis Canestrini, 1872 haben Schönhofer & Martens (2010b) neu definiert und I. helvetica Roewer, 1916 als Synonym zu I. dentipalpis erkannt. Für die morphologisch deutlich abweichende „dentipalpis“-Population der Bergamasker Alpen war kein Name verfügbar; sie wurde folglich als I. lithoclasica neu benannt. Diese Art und I. dentipalpis sind einander recht ähnlich, können aber anhand der Form der Patellar-Apophyse des Pedipalpus, durch die Form des Chelizeren-Grundgliedes der Männchen und durch die Penismorphologie gut unterschieden werden. Zudem ist die kleinräumige Verbreitung kennzeichnend, wiederum in einem Gebiet, das glazial weitgehend unvereist geblieben ist. Eine molekulargenetische Analyse zeigte, dass die sechs südalpinen Arten (einschließlich des I. kollari C. L. Koch, 1839 der Zentralalpen) tatsächlich nächstverwandt sind und die Artengruppe des „Alpine clade“bilden (Schönhofer et al. 2015).
Sabaconidae
Sabacon simoni Dresco, 1952
Sabacon viscayanus ramblaianus Martens, 1983. Die Unterart ist ursprünglich aus den Pyrenäen bekannt (Locus typicus in den Hautes-Pyrénées, südwestlich von Lourdes), wo sie das Areal der Nominatform nach Westen fortsetzt. Die ersten Funde in Großbritannien auf der Halbinsel Gower, South Wales wurden 1980 bekannt (Abbott 1981) und zunächst mit glazialen Reliktgebieten in Verbindung gebracht, also mit altem, autochthonem Vorkommen. Nach den ersten Nachweisen hat sich das britische Areal in den vergangenen 40 Jahren deutlich nach Norden und Osten ausgedehnt (British Arachnological Society 2021: http://srs.britishspiders.org.uk/portal.php/p/Summary/s/Sabacon+viscayanus+ramblaianus). Heute wird der Arealstart auf mineralische Importe von Eisenerz, Gestein und Schiffsballast nach Großbritannien zurückgeführt, worauf weitere Ausbreitung erfolgte. Davidson (2019) hat die Einzelheiten dargelegt.
Phalangiidae
Phalangium opilio Linnaeus, 1758. Astrin et al. (2016) haben durch DNA Barcoding gezeigt, dass in Deutschland zwei genetische Linien vorkommen, denen möglicherweise Artstatus zuzusprechen ist. Morphologische Kennzeichen sind bisher nicht ausgearbeitet worden. Unter dem Namen P. opilio verbirgt sich wahrscheinlich eine weitere Art aus dem Mittelmeergebiet, deren Männchen generell größer und langbeiniger und deren Chelizerenhörner stärker verlängert sind als bei den Populationen nördlich der Alpen; es bestehen auch genitalmorphologische Unterschiede.
Metaphalangium cirtanum (C. L. Koch, 1839). Der von Martens (1978) gebrauchte Name M. propinquum (Lucas, 1847) ist ein Synonym (Staręga 1984).
Opilio parietinus (De Geer, 1778). Das fast völlige Verschwinden des Mauerkankers aus Mitteleuropa ist bisher nicht überzeugend erklärt. Es wird immer wieder mit der flächendeckenden Ausbreitung des Apenninenkankers (Opilio canestrinii) in Verbindung gebracht, und es beruht vermutlich nicht (primär) auf Klimawandel. Ein Nachweis zuletzt 2008 im Südschwarzwald auf knapp 1000 m (Grafenhausen, CJM); in Niederösterreich zuletzt 2008 bei Winkling nahe Ardagger (Gruber pers. Mitt.); in Vorarlberg ein neuer Nachweis von 2017 im oberen Lechtal, wo O. canestrinii bisher fehlt; letzte Nachweise in Kärnten und in der Steiermark aus den 1990er Jahren (Komposch pers. Mitt.); in den Niederlanden nur noch einzelne sehr kleine Populationen an suboptimalen Stellen (Noordijk 2014). In Luxemburg existieren noch stabile Populationen, auffälligerweise syntop mit Opilio canestrinii. Das mag ein Beweis für ausbalancierte Koexistenz sein, ebensogut ein Hinweis auf einen aktuell ablaufenden Verdrängungsprozess zugunsten von O. canestrinii; das bleibt in einigen Jahren zu überprüfen (Muster et al. 2014). Wo wird der Mauerkanker sonst noch angetroffen?
Opilio saxatilis C. L. Koch, 1839
Opilio dinaricus Šilhavý, 1938
Opilio ruzickai Šilhavý, 1938
Opilio transversalis Roewer, 1956. Die Art ist annähernd circum-adriatisch verbreitet und erreicht unser Gebiet im mediterranen Westslowenien; insgesamt existieren nur wenige Nachweise in Nordostitalien südlich des Po und in Mar-ken in Mittelitalien, in Griechenland auf Korfu und auf der Peloponnes. Gruber (1984, 1988) berichtete von den ersten Funden im Berichtsgebiet in Slowenien nördlich von Istrien, zugleich die nördlichsten Funde des Gesamtareals. Dort lebt O. transversalis in offenem buschreichen Gelände und auf Ruderalflächen im (sub)mediterranen Gebiet. Zusätzliche spärliche Funde nennen Novak et al. (1995b) und Novak & Gruber (2000) für Slowenien. Äußerlich ist O. transversalis gut kenntlich an der hellen Querbänderung des Opisthosomas; mit Unterschieden gliedert er sich genitalmorphologisch O. canestrinii und O. ruzickai an.
Opilio canestrinii (Thorell, 1876). Der Apenninenkanker ist ursprünglich in Italien heimisch und hat etwa um 1970 die Alpen nordwärts übersprungen, wahrscheinlich mit Gütertransporten. Die ersten datierten Nachweise nördlich der Alpen stammen aus Deutschland (Stuttgart 1974, Berlin 1976, Mainz 1977, Zürich 1977, Goslar 1978; alle CJM). Um 1978 war Deutschland schon fast überall besiedelt (zahlreiche Nachweise CJM, vgl. Abb. 5), und 1987 war nicht nur Dänemark und Österreich flächendeckend erfasst (Enghoff 1988, Gruber 1988), was ebenso für die Beneluxländer gilt; und derzeit ist es die „zweithäufigste Weberknechtart Luxemburgs“(Muster & Meyer 2014).
Die Verbreitungsgrenzen haben sich in Ostfrankreich, Südskandinavien und Polen stabilisiert, auch auf der britischen Hauptinsel ist er in fast allen Landesteilen anzutreffen (Davidson 2019). Im Besprechungsgebiet ist O. canestrinii zur beherrschenden Art der Gilde der langbeinigen Phalangiiden geworden, vor allem im menschlichen Siedlungsbereich, wo er an Hauswänden leicht auffindbar ist. Diese Bindung hat zwar nachgelassen, und randliche Grünbereiche und ebenso Auwälder, z. B. entlang des Rheines und seiner Altarme, werden mehr und mehr besiedelt. Vor allem in gewässernahen Auwäldern ist O. canestrinii derzeit der häufigste langbeinige Phalangiide. Dort ist er vor allen nachts an Baumstämmen zu finden, kaum tagsüber, und bodenfallenfängig ist er auch nicht (Schönhofer pers. Mitt.). Muster (pers. Mitt.) fand ihn häufig in Klopfproben von Nadelbäumen. Indes haben die trockenen Sommer der Jahre 2018–2020 den Bestand im städtischen Bereich in Deutschland lokal einbrechen lassen (pers. Beobachtung), was Muster (pers. Mitt.) für die Eifel bestätigt.
Der Name Opilio ravennae Spoek, 1962 wurde von Martens (1978) für den aus Italien eingewanderten Apenninenkanker verwendet. Gruber (1984) zeigte, dass diese auffällige Art längst einen Namen hatte.
Platybunus bucephalus (C. L. Koch, 1835)
Platybunus pinetorum (C. L. Koch, 1839). Nach Martens (1978) lebte diese Art nördlich der Alpen in einigen Mittelgebirgen, jedoch nicht großflächig in der Norddeutschen Tiefebene. Unerwartet sind deshalb Nachweise in großen Teilen des nördlichen Deutschland (Arachnologische Gesellschaft 2021a: https://atlas.arages.de/species/1386), in den Niederlanden (Wijnhoven 1998, 2009, Wijnhoven & Noordijk 2011), in Belgien (Vanhercke 2010), Dänemark (Enghoff et al. 2014) und auf den Britischen Inseln (Richards 2010, Davidson 2019). In diesen Gebieten sind teilweise stabile Populationen entstanden. Die Nachweiskarte der Arachnologischen Gesellschaft (2021a) zeigt für Deutschland auf breiter Front nordwärts gerichtete Ausbreitungsdynamik, wobei die Ursachen nicht geklärt sind. Klimawandel scheint kaum eine Rolle zu spielen, da P. pinetorum primär eine kühl-adaptierte (Mittel-)Gebirgsart ist. Geografische Parthenogenese mag eine Rolle spielen, die schnelle Ausbreitung begünstigt: Die meisten (oder alle?) Populationen nördlich der Alpen scheinen nur aus Weibchen zu bestehen. Einzelheiten haben Muster & Meyer (2014) dargelegt.
Platybunus pallidus Šilhavý, 1938
Platybunus alpinorelictus Martens, 1978
Metaplatybunus carneluttii Hadži, 1973
Megabunus Meade, 1855. Die Arten dieser Gattung haben geringe Körpergröße, relativ kurze Laufbeine und riesigen Augenhügel; sie besiedeln sehr spezialisiert senkrechte in vielen Fällen offenliegende Felswände in hohen Gebirgslagen. Die bis zum Jahr 1978 bekannten vier Arten der Alpen leben weit disjunkt bis auf eine Art in Massiven der Südalpen, wo sie offenbar die Eiszeiten in kleinen Arealen überdauert haben. Eine weitere Art, die in Martens (1978) noch nicht erfasst ist, M. bergomas Chemini, 1985, füllt mit winzigem Areal eine Verbreitungslücke zwischen den Vorkommen von M. rhinoceros und M. armatus. Eine feine molekulargenetische Analyse, detaillierte Erfassung morphologischer Merkmale und des Chemismus von Hautsekreten der bisher bekannten alpinen Arten erwies, dass zwei der südalpinen Arten nochmals in sich differenziert sind. Deren allopatrische Teilpopulationen verdienen offensichtlich Artstatus (Wachter et al. 2015, 2016). Die Namen Megabunus cryptobergomas, Megabunus coelodonta und Megabunus lentipes wurden vorgeschlagen (Wachter et al. 2015). Der südwestalpine M. vignai erwies sich als Schwesterart zu allen anderen Arten des alpinen Megabunus-Komplexes (Wachter et al. 2015).
Megabunus lesserti Schenkel, 1927. Das Nördliche Riesenauge ist ein spezialisierter Endemit der Nördlichen und Nordöstlichen Kalkalpen vom (lokal) südlichen Bayern über Nordtirol, Salzburg, Niederösterreich, Steiermark und Kärnten. Gegenüber Martens (1978) konnten Muster et al. (2005) die Arealkenntnis deutlich nach Westen (Ammergauer Alpen) und Osten (Niederösterreich, Schneeberg) erweitern. Die neuen Aufsammlungen in Bayern und Kärnten bekräftigen den unisexuellen Charakter der westlichen und südlichen Arealvorposten, wo nur Weibchen vorkommen. Es wird vermutet, dass Parthenogenese postglaziale Arealerweiterung ermöglichte. Bisexuelle Populationen leben dort, wo glazialbedingt Massifs de Refuge eiszeitliche Überdauerung in isiolierten Kalkgebirgsstöcken möglichte (Muster 2000, Muster et al. 2005).
Die südlichsten Fundorte von M. lesserti sind nach den neuen Befunden nur etwa 50 km vom nördlichen Arealrand der vikariierenden Schwesterart M. armatus aus den südlichen Kalkalpen entfernt (Muster et al. 2005). Mit kleinräumiger Parapatrie beider Arten ist dennoch nicht zu rechnen, da eine klare Arealtrennung durch Teile der silikatischen Zentralalpen gegeben ist, in denen beide Arten fehlen.
Megabunus armatus (Kulczyńsky, 1887)
Megabunus rhinoceros (Canestrini, 1872)
Megabunus vignai Martens, 1978. In Martens (1978) wurde M. vignai als kleinräumiger Endemit der Meeralpen betrachtet. Wachter et al. (2015, 2016) haben Nachweise bis in die Berner Alpen erbracht, Erstfunde für die Schweiz und einen bedeutenden Kenntniszuwachs der Arealgröße. Geographische Parthenogenese bei dieser Art erörterten ebenfalls Wachter et al. (2015, 2016).
Megabunus diadema (Fabricius, 1779)
Megabunus bergomas Chemini, 1985. Die Art wurde in den Bergamasker Alpen bzw. den Orobischen Alpen Italiens identifiziert, wo sie offenbar ein kleines Gebiet in Höhen zwischen 1750 und 2300 m besiedelt. Lebensraum sind Felsen, die von Gebüschen begleitet werden. Typuslokalitäten sind Massiccio dell'Arera und Monte Ferrante (Chemini 1985a). Wachter et al. (2015) haben weitere Fundorte aufgespürt, das Areal aber nicht wesentlich erweitern konnten.
Megabunus cryptobergomas Muster & Wachter, 2015 (in Wachter et al. 2015). Diese neue Art und M. bergomas trennen neben genetischen Merkmalen Einzelheiten der Penisstruktur: geringere relative Länge der Glans, im Verhältnis weniger lang gezogene Glans, unterer Rand der Glans gleichmäßig gerundet, größte Höhe etwa in der Mitte der Glanslänge bei der neu definierten Art. Männchen haben zwei kleine Chelizeren-Apophysen, eine retrolateral zusätzlich zu der mediofrontalen am distalen Segment. M. cryptobergomas ist ein Endemit des östlichen Teils der südlichen Bergamasker Voralpen in Norditalien zwischen dem Val Camonica im Osten und dem Val Seriana im Westen; Nachweise existieren von den Massiven Cimone della Bagozza, Pizzo Camino und Pizzo della Presolana; cryptobergomas schließt östlich an das Aral von M. bergomas an, genetisch ist sie Schwestertaxon zu M. bergomas.
Megabunus coelodonta Muster & Steiner, 2015 (in Wachter et al. 2015). Neben den genetischen Unterschieden trennt ein kleiner mediofrontaler Zahn auf dem distalen Chelizerenglied der M. coelodonta-Männchen ihn von den anderen Arten des Formenkomplexes. Überdies ist der Penis länger gestreckt als bei M. rhinoceros, und von M. lentipes unterscheidet er sich durch deutliche Höcker auf den Tibien der Laufbeine. Die Verbreitung ist auf die nordöstlichen Walliser Alpen beschränkt, vom Saas-Tal im Südwesten zum Nufenenpass im Nordosten; keine Nachweise in den Berner Alpen nördlich des Rhônetales.
Megabunus lentipes Muster & Komposch, 2015 (in Wachter et al. 2015). Wichtige äußere Merkmale von M. lentipes sind das Fehlen von Tuberkeln auf der Tibia der Vorderbeine; Männchen zeigen eine größere Zahl von kleinen Höckern vor dem Augenhügel als M. rhinoceros, und von M. coelodonta unterscheidet er sich durch das Fehlen einer Apophyse auf dem distalen Chelizeren-Segment. Diese neue Art lebt kleinräumig allopatrisch zu M. rhinoceros und M. coelodonta (Karten in Wachter et al. 2015, 2016). Molekulargenetisch ist sie rhinoceros am nächsten, und diese beiden bilden die Schwestergruppe zu M. coelodonta (Wachter et al. 2015). Im anschließenden Gran Paradiso-Nationalpark konnte M. lentipes nicht aufgespürt werden. In diesem weiteren Gebiet lebt auch vereinzelt M. vignai Martens, 1978 (somit von seinem Hauptareal weit entfernt), sodass im Bereich der Grajischen und Penninischen Alpen eine bemerkenswert hohe Zahl von Megabunus-Arten vorkommt, wenngleich offenbar immer in (kleinräumiger) Allopatrie.
Kalliste pavonum Martens, 2018. Dieser winzige Phalangiide war eine überraschende Neuentdeckung an zwei Standorten in den Buchenbergwäldern Korsikas und wurde innerhalb der Phalangiinae einer neuen Gattung, Kalliste Martens, 2018 zugeordnet. Das ist die kleinste bisher bekannte Art der Phalangiidae mit Körperlänge von 1,8–2,0 mm der Männchen und 1,9–2,6 mm der Weibchen (Martens 2018). Die phylogenetische Verwandtschaft innerhalb der Phalangiinae ließ sich bisher nicht bestimmen. Inzwischen ist K. pavonum sogar außerhalb Korsikas in unserem Erfassungsgebiet nachgewiesen worden, im südfranzösischen Département Var auf dem Gipfel des Berges Bœuf bei Collobrières im Maurenmassiv (Ponel & Oger 2019).
Rilaena triangularis (Herbst, 1799)
Dasylobus graniferus (Canestrini, 1872). Die Art wurde schon von Canestrini (1872) beschrieben und später von mehreren Autoren erneut mit Namen belegt (Abb. 6). Es bestehen mindestens neun Synonyme (vgl. Martens 1978, Chemini 1989); Eudasylobus nicaeensis (Thorell, 1876) war der bis dahin gebräuchliche Name (Chemini 1986).
In Italien ist er weit verbreitet und lebt im alpinen Bereich in den westlichsten Ostalpen (in Österreich in Vorarlberg und Nordtirol, Komposch pers. Mitt., Abb. 7). Es existiert ein individuenreicher Nachweis (>50 Expl.) von 1997 aus der Nordwestschweiz (Kanton Basellandschaft, det. Ingmar Weiss, in: Luka 2004: S. 277 + 316, Abb. 7). Fünf Weibchen wurden im Mai/Juni 2016 und April 2021 auf dem Campus der Universität Mainz und auf zwei benachbarten Friedhöfen gefunden; Erstnachweis für Deutschland (Abb. 7, hier auch ein weiterer Fund eines Weibchens vom 28. Apr. 2021 aus Neustadt an der Weinstraße von Peter Danter aus inaturalist. org). Es ist bisher unklar, ob sich hier eine dauerhafte Ansiedlung entwickelt, zumal die Populationsdichte sehr gering zu sein scheint. Auch der Verlauf des Jahreszyklus zeichnet sich bisher nicht ab. Bereits Anfang April 2021 wurde das erste adulte Weibchen gefunden, und somit könnten adulte Tiere überwintern. Martens (1978) gibt die Reifezeit von Populationen südlich der Alpen (Rovinj) bereits ab April an; die Hauptreifzeit liegt wohl generell im Frühjahr. Hier besteht Forschungsbedarf.
Männchen sind bereits äußerlich an dem Körnerfeld auf einer gerundeten Apophyse auf dem zweiten Chelizerenglied und an dem Haarfeld auf der Ventralseite des Pedipalpus gut kenntlich; die Weibchen können mit großen Exemplaren von Mitopus morio verwechselt werden.
Dasylobus ligusticus Roewer, 1923 (= Eudasylobus l.)
Lophopilio palpinalis (Herbst, 1799)
Zacheus crista (Brullé, 1832)
Egaenus convexus (C. L. Koch, 1835). Bei dieser haupsächlich auf der Balkanhalbinsel verbreiteten Art liegen neuere Einzelfunde deutlich nördlich des bekannten Areals vor: in Österreich in Kärnten am Griffener Schlossberg und nahe Graz, in der Tschechischen Republik im Kreis Südmähren nahe der Grenze zur Slowakischen Republik und in Deutschland in Sachsen bei Dresden und nahe der Grenze zur Tschechischen Republik (Arachnologische Gesellschaft 2021a: https://atlas.arages.de/species/1359).
Oligolophus tridens (C. L. Koch, 1836)
Oligolophus hanseni (Kraepelin, 1896)
Paroligolophus agrestis (Meade, 1855)
Paroligolophus meadii (Pickard-Cambridge, 1890)
Lacinius horridus (Panzer, 1794)
Lacinius dentiger (C. L. Koch, 1847). Der Steingrüne Zahnäugler ist auf der Balkanhalbinsel weit verbreitet, erreicht die Ostalpen und das nordöstliche Voralpenland (Martens 1978). Seither hat über die Tschechische Republik und die östlichen deutschen Bundesländern eine deutliche nordwärts gerichtete Arealerweiterung stattgefunden, die die Ostseeküste in Mecklenburg-Vorpommern erreicht hat (SE Ueckermünde, CJM), Nachweise vermehrt auch in Schleswig-Holstein und Brandenburg (CJM) (Abb. 8); die Art wurde jedoch noch nicht in Dänemark gefunden (Enghoff et al. 2014), wohl aber in Norwegen und Finnland (Bezděčka et al. 2017); Nachweise aus Polen sind ebenfalls bekannt (Rozwałka et al. 2013) und, in Gebieten der österreichischen Alpen, wo die Art früher unbekannt war, ist sie inzwischen verbreitet (Komposch pers. Mitt.). Einflüsse der Klimaerwärmung sind wahrscheinlich.
Lacinius ephippiatus (C. L. Koch, 1835)
Odiellus spinosus (Bosc 1792). Für die Iberische Halbinsel basierte die Verbreitungskarte in Martens (1978) auf Rambla (1973), die ihn offensichtlich mit O. troguloides (Lucas, 1847) verwechselte. Dadurch ist das spinosus-Areal auf weite Gebiete der nördlichen Iberischen Halbinsel ausgedehnt, wo O. spinosus offensichtlich nicht vorkommt. Die südwestliche Arealgrenze in Südwestfrankreich ist nicht gut belegt.
Diese Art ist in Mitteleuropa in deutlicher Ausbreitung begriffen. Ausgehend von früher punktartigen Arealsplittern im Rhein-Main-Gebiet und bei Berlin (Martens 1978) ist O. spinosus heute in Deutschland weit verbreitet wenngleich im Südosten weiterhin fehlend. Schwerpunkte sind Südwestdeutschland mit Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg, ferner die östlichen Bundesländer Brandenberg, Berlin und Sachsen-Anhalt (Arachnologische Gesellschaft 2021a). In den Niederlanden kommt spinosus inzwischen in vielen Landesteilen vor, zumeist mit synanthroper Bindung (Wijnhoven pers. Mitt.); Spoek (1963) kannte von dort nur einzelne Funde. Auch die Nachweise in Luxemburg sind neu (Muster & Meyer 2014). Nördlich hat der Große Sattelkanker Dänemark erreicht (Enghoff et al. 2014,Toft 2018) und sich dort stark ausgebreitet; im Osten in Westpolen nachgewiesen südlich von Posen (Rozwałka et al. 2013); noch keine Nachweise in Österreich (Komposch pers. Mitt.). Nicolai (2021) hat eine verhaltenskundlich-ökologische Studie in einer Population in Sachsen-Anhalt vorgelegt.
Odiellus granulatus (Canestrini, 1872). Der in Martens (1978) verwendete Name O. coronatus (Roewer, 1911) ist ein Synonym (Chemini 1986).
Odiellus troguloides (Lucas, 1847)
Odiellus lendli (Sørensen, 1894)
Mitopus morio (Fabricius, 1779). Das ist eine in Beinlänge und dorsalem Zeichnungsmuster extrem variable und euryöke Art (Martens 1978, Jennings 1983); sie ist holarktisch bis nach Sibirien, Japan, Grönland (Meinertz 1973; CJM) verbreitet, und Vorkommen im nordöstlichen Nordamerika in Kanada und USA sind belegt (Cokendolpher & Holmberg 2018). Der Gemeine Gebirgsweberknecht sollte großflächig genetisch untersucht werden, da der Verdacht besteht, dass sich mehrere bislang nicht erkannte Arten unter diesem Namen verbergen (Arthofer et al. 2012, Astrin et al. 2016). Gegenwärtig werden in der Gattung Mitopus Thorell, 1876 drei Arten unterschieden, neben den beiden europäischen der sibirisch-mongolische M. mongolicus Roewer, 1912 (Martens 1976); diese Zahl dürfte sich zukünftig erhöhen.
Somit ist Mitopus ericaeus Jennings, 1982 erneut zu betrachten, der von Jennings (1982) aus Co. Durham, England als neue Art beschrieben, aber bisher nicht als eigenständige Art anerkannt wurde. Sie kommt nur in den lokal höheren Gebirgslagen zwischen 260 m und 549 m vor, ist relativ groß und langbeinig. Sie lebt zusammen mit einer kurzbeinigen Form, die auch in tieferen Lagen auftritt und weiter verbreitet ist; sie hat ein anderes dorsales Zeichnungsmuster und andere Reifezeiten. Im Labor blieben Paarungsversuche zwischen beiden Formen erfolglos, gelangen jedoch mühelos zwischen Männchen und Weibchen derselben Morphotypen. Dieses unterschiedliche Verhalten beider Formen spricht für Artstatus, und nach „form“-gleichen Populationen auf dem europäischen Festland sollte gesucht werden. Ein erster integrativer Ansatz zeigte, dass bereits in einem kleinen Gebiet in Tirol drei genetische Linien existieren, denen möglicherweise Artrang zukommt (Arthofer et al. 2012). Astrin et al. (2016) gaben vier distinkte Evolutionslinien aus Deutschland bekannt. Taxonomische Änderungen wurden für diese Populationen bisher nicht empfohlen. In den französischen Westalpen (südwestlich Col de Tende, Vallon de la Minière) treffen in etwa 1600 m zwei deutlich verschiedene M. morio-Populationen abrupt aufeinander. Zeichnungsmuster und Beinlänge differieren extrem und verlangen nach Klärung (eigene Beobachtung; CJM).
Hein et al. (2014) betrachten M. morio als idealen bio-geografischen Modellorganismus, mit dem in alpinen Ökosystemen räumlich-zeitliche Antworten auf unterschiedliche ökologische Bedingungen gewonnen werden können. Mitopus morio bietet vielfältige Forschungsfelder.
Mitopus glacialis (Heer, 1845)
Sclerosomatidae
Martens (1978) hat Sclerosomatinae und Leiobuninae als Unterfamilien der Phalangiidae geführt. Heute gelten die Sclerosomatidae als eigene Familie, zu denen die Leiobuninae und die artenreichen vor allem altweltlich-tropischen Gagrellinae gezählt werden. Die Stellung der Gattung Dicranopalpus Doleschall, 1852 im System der Familien ist bisher nicht eindeutig geklärt; die Genitamorphologie gibt keine klaren Hinweise. Die Gattung hat offensichtlich eine lange eigenständige Entwicklung durchlaufen, die sie sowohl von den Phalangiidae als auch den Sclerosomatidae trennt. Wijnhoven & Martens (2019) stellen sie zu den Sclerosomatidae, ohne nähere Erklärung. Die Gattung Amilenus Martens, 1969 sollte vorerst bei den Sclerosomatidae verbleiben.
Gyas titanus Simon, 1879. Die hohen Feuchtigkeitsansprüche beider Gyas-Arten haben Novak et al. (2004) analysiert.
Gyas annulatus (Olivier, 1791)
Dicranopalpus gasteinensis Doleschall, 1852
Dicranopalpus ramosus (Simon, 1909). Martens (1978) konnte lediglich acht Nachweise für unser Erfassungsgebiet benennen, wobei versteckt auch D. caudatus Dresco, 1948 im Spiel war (siehe unten) (Wijnhoven & Prieto 2015). Seitdem hat sich die Situation grundlegend geändert. Dicranopalus ramosus ist etwa seit 1970 auf der britischen Hauptinsel und in Irland bekannt und seitdem weit verbreitet. Er hat sich von den Kantabrischen Gebirgen ausgehend in Mitteleuropa stark etabliert (Wijnhoven & Prieto 2015): Frankreich, die Benelux-Länder und Dänemark (Enghoff pers. Mitt., Toft & Hansen 2011, Toft 2018b) sind nahezu flächendeckend besiedelt, vereinzelt Südschweden (Jonsson 2013). Für Deutschland wurde der erste Fund in Nordrhein-Westfalen bekannt (Schmidt 2004). Seither wurde der Norden und der Westen besiedelt, südlich davon bleibt er eher spärlich verbreitet mit einzelnen Nachweisen in Mainz (CJM) und Bad Kreuznach (CJM); nur vereinzelt gibt es Funde östlich von Hannover bis Berlin, im Südosten Deutschlands weitgehend fehlend (Abb. 9), ein Nachweis deutlich weiter östlich in Polen (Rozwałka & Rutkowski 2016). Die Biotopbindung ist in unserem Gebiet synanthrop bestimmt, also in Gärten, Parks, an Hausmauern. In den Niederlanden lebt er vermehrt auch in natürlichen Habitaten und ist dort häufig und weit verbreitet. Im Nationalpark Eifel wurde D. ramosus in größerer Zahl aus Koniferen in halbnatürlichen Lebensräumen geklopft (Muster pers. Mitt.).
Dicranopalpus caudatus Dresco, 1948. Diese dem D. ramosus sehr ähnliche Art lebt in den weiteren Küstengebieten von Portugal und Spanien; von dort scheint keine nennenswerte Ausbreitung nach West- und Mitteleuropa stattgefunden zu haben. Im Erfassungsgebiet existieren nur zwei Nachweise in England, von denen einen schon Martens (1978) nannte, jenen von Brighton. Es gibt inzwischen weitere rezente Belege aus England, von den Isles of Scilly und von Sheffield (Richards 2019). Weitere Nachweise außerhalb des mediterranen Primärareals scheinen sonst nur noch in Frankreich zu existieren: angeblich von Saint-Pée-sur-Nivelle (südlich von Biarritz) und im Département Pyrénées-Orientales (Delfosse & Melotti 2016). Die Abbildungen in Martens (1978) von Penis (Abb. 711-712), Chelizeren (Abb. 715) und männlichem Palpus (Abb. 713) beziehen sich auf caudatus (sub ramosus), die anderen Darstellungen auf ramosus.
Dicranopalpus larvatus (Canestrini, 1874). Diese Art wurde von Wijnhoven & Martens (2019) nach dem Typenmaterial erneut charakterisiert. Sie wurde von Canestrini (1874) aus dem süditalienischen Kalabrien beschrieben und seit der ersten Nennung nur von Marcellino (1973, 1986) auf Sizilien selbst und auf Salina, Panarea, Lipari und Stromboli der Aeolischen Inselgruppe und in den südlichen Apenninen wiedergefunden. Im Erfassungsgebiet gelangen Nachweise, die offensichtlich auf Verschleppung beruhen, auf Inseln zwischen Großbritannien und Frankreich: auf den Scilly Inseln, der Kanalinsel Guernsey und auf der Isle of Wight vor der Südküste Englands (Davidson 2019). Dicranopalpus larvatus ist winterreif und kommt mit den milden Wintern im Kanalgebiet offenbar gut zurecht.
Amilenus aurantiacus (Simon, 1881). Er besiedelt ein großes Areal auch nördlich der Alpen, wenn auch nur mit zerstreuten Nachweisen, das Martens (1978) noch nicht erschließen konnte. Den aktuellen Stand in Deutschland zeigen Zaenker at al. (2016) und Arachnologische Gesellschaft (2021a: https://atlas.arages.de/species/1354), für Belgien vgl. Vanhercke (2010). Damit erstreckt sich das Areal nördlich bis in die nördlichen Mittelgebirge und sogar vereinzelt bis an deren Nordabfall. Biologisch ist das Höhlenlangbein interessant, da Jungtiere in Höhlen und Spalten überwintern und die Reifehäutung im Frühjahr liegt (Martens 1978).
In der Gattung Amilenus Martens, 1969 waren außer der Typusart keine weiteren Arten beschrieben worden (Martens 1969b), auch sind die verwandtschaftlichen Beziehungen unbekannt. Dunlop & Mitov (2009) beschrieben eine weitere Art aus dem Bernstein von Bitterfeld, A. deltshevi Dunlop & Mitov, 2009. Dieselbe Art wird neuerdings für den eozänen Bernstein von Rovno in der Ukraine genannt (Mitov et al. 2021).
Homalenotus quadridentatus (Cuvier, 1795). Alle früheren Angaben zum Vorkommen in Deutschland sind nicht zutreffend (Martens 1978). Den ersten Nachweis erbrachten Petto (1991), später bestätigt von Deepen-Wieczorek & Schönhofer (2013) in der Nähe von Aachen.
Astrobunus laevipes (Canestrini, 1872). Ist in starker Expansion begriffen (Abb. 10); Einwanderungswege werden erkennbar, eventuell nach Einschleppungen nach Westdeutschland und in die Niederlande, wo er sich entlang der Rheinarme Waal und Nederrijn ausgebreitet hat (Wijnhoven 2003, Noordijk et al. 2014). Es besteht ein getrennter Arealteil in Südostdeutschland, der vom Teilareal in Tschechien ausging (Höfer & Spelda 2001); aktive Ausbreitung in Kombination mit Verschleppung entlang großer Flusstäler, etwa Rhein und Elbe, ist plausibel.
Astrobunus bernardinus Simon, 1879
Astrobunus dinaricus Roewer, 1915
Astrobunus helleri (Ausserer, 1867)
Astrobunus kochi Thorell, 1876
Leiobunum limbatum L. Koch, 1861. Der Ziegelrückenkanker hat in seinem ursprünglichen Areal als alpine Gebirgsart zu gelten (Martens 1978). Von dort haben immer wieder Ansiedlungen in den „Steinwüsten“von Großstädten nördlich der Alpen stattgefunden, und wahrscheinlich wurden sie durch Verschleppung ausgelöst. In Deutschland lassen sich die ältesten außeralpinen Nachweise bis in die 1960er Jahre zurückzuverfolgen. Seither liegen zahlreiche Nachweise vor, die sich in Süddeutschland konzentrieren und nur in wenigen Fällen nördlich der Nordgrenze der Mitelgebirge liegen (Arachnologische Gesellschaft 2021a).
Leiobunum roseum C. L. Koch, 1839
Leiobunum rotundum (Latreille, 1798)
Leiobunum blackwalli Meade, 1861
Leiobunum rupestre (Herbst, 1799). Artabgrenzung, Nomenklatur und Verbreitung von L. rupestre und zweier nah-verwandter Arten wurden in Martens (1978) nicht korrekt dargestellt, inzwischen von Martens & Schönhofer (2016) umfassend korrigiert. Leiobunum rupestre ist vornehmlich eine ostalpine Art, die nach Norden in die deutschen und tschechischen Mittelgebirge ausstrahlt (Locus typicus ist Sachsen) und nach Südosten in Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina und Serbien (bisher ein Fundort) verbreitet ist. Sie erreicht an keiner Stelle die Küsten von Nord- und Ostsee.
Leiobunum gracile Thorell, 1876 (= Leiobunum tisciae Avram, 1968 in Martens 1978). Sein Areal reicht vom weiteren Karpatenbogen, wahrscheinlich dem ursprünglichen Areal, nach Norden über die Slowakei, Polen, die baltischen Staaten (fast keine Nachweise in Litauen) und Südfinnland, ferner in Südschweden und Südnorwegen, Dänemark; in Deutschland existieren vereinzelte alte Nachweise im Ostseebereich, weiter westlich bis Hamburg. Es ist davon auszugehen, dass L. gracile aus seinem Kernareal in den Karpaten immer wieder durch menschliche Aktivität nach Norden und Westen verschleppt wurde und ein großes sekundäres Areal entlang der Ostseeküste und deren Hinterland gebildet hat und sogar die Britischen Inseln erreichte (Martens 1978, Davidson 2019). Solche sekundären Arealpunkte haben sich schnell vergrößert und große Populationen aufgebaut, sind aber aus unbekannten Gründen zusammengebrochen (Martens & Schönhofer 2016). Für Dänemark belegt Toft (2018) den Zusammenbruch der dortigen Populationen mit quantitativen Daten und verweist auf Konkurrenzausschluss mit O. canestrinii. In Deutschland gibt es derzeit wohl keine bekannten Vorkommen, lediglich eine temporäre Einschleppung nach Jägerswald-Werda in Sachsen (J. Guttenberger leg., CJM).
Leiobunum subalpinum Komposch, 1998. Diese Art wurde lange Zeit nicht von L. rupestre (Herbst, 1799) getrennt, dem sie außerordentlich ähnlich ist, auch genitalmorphologisch. Beide können zusammen vorkommen, doch ist L. subalpinum von L. rupestre bereits im Freiland gut trennbar durch die auffallend braun gebänderten Laufbeincoxen. Das Areal beschränkt sich auf die Subalpinstufe der Ostalpen allein in Österreich (Komposch 1998) und Nordslowenien (Novak et al. 2006), wo sie in lockeren Lärchen-Fichtenwäldern im Bereich der Waldgrenze vorzugsweise in Höhen zwischen 1500 bis 2100 m vorkommt (Komposch 1998). Für weitere Angaben vergleiche Komposch & Gruber (2004). Kozel et al. (2021) beschreiben unterschiedliche Vorzugstemperaturund Feuchtigkeitsregimes für L. subalpinum und L. rupestre an den Tagesruheplätzen im sympatrischen Verbreitungsgebiet in Slowenien: für subalpinum 23,1°C und relative Luftfeuchtigkeit 65–85%; für rupestre 12–17°C, rel. Luftfeuchtigkeit 98,1%. Trotz dieser unterschiedlichen Nischen wurde syntoper Aufenthalt beobachtet.
Leiobunum religiosum Simon, 1879. Diese Art ist seit langem aus den französischen und italienischen Südwestalpen bekannt, wo ihr geografischer Ursprung liegt. Überraschend kam der Nachweis in den Stollen des Mayener Grubensystems in der Eifel in Rheinland-Pfalz (Schönhofer & Hillen 2008), ferner ein weiterer Nachweis aus der Eifel vom Forsthaus Mariawald, leg. S. Twietmeyer Okt. 2017, det. C. Muster; Nachsuche in 2020 erbrachte dort keinen neuen Nachweis (Muster pers. Mitt.). Funde in Luxemburg an elf Standorten (Muster & Meyer 2014) waren gänzlich unerwartet, wobei auffällig ist, dass L. religiosum dort auch synanthrop vorkommt und lokal die vierthäufigste Art an Hauswänden sein kann (Muster et al. 2014). Es ist ungeklärt, ob es sich um alte bisher übersehene Populationen handelt oder um neue Einwanderung bzw. Verschleppung. Die weit disjunkten Funde lassen beide Interpretationen zu, Einschleppung aus den Südwest-Alpen ist indes kaum plausibel. Ab 2012 trat L. religiosum bei Rotterdam recht häufig im Hafen an Ufern mit Granitblöcken auf, war dort ganz bestimmt eingeschleppt (Noordijk & Bink 2014). In 2020 war die Art noch immer anwesend, doch wurden nur noch einzelne Individuen gefunden (Wijnhoven pers. Mitt.).
Leiobunum apenninicum (Martens, 1968). Das Apenninenlangbein wurde ursprünglich in der Gattung Nelima Roewer, 1910 beschrieben, ist aber nach traditionellen Merkmalen der (spärlichen) Coxenbewehrung bei Leiobunum einzureihen. Habitus, Färbung und Zeichnungsmuster der nahverwandten Arten L. rupestre und L. gracile sprechen ebenfalls für diese Entscheidung (Martens & Schönhofer 2016). Die Verbreitung ist in mehrere disjunkte Teilareale zersplittert (Karte in Martens & Schönhofer 2016). Weibchen sind tagsüber schwer aufzufinden, da sie im Gegensatz zu den Männchen am Boden ruhen.
Leiobunum nigripalpe Simon, 1879. Diese rätselhafte Art ist bis heute nicht geklärt worden; neue Funde gibt es nicht. Eine angebliche Typenserie aus dem Museum Paris enthält eine Mischserie aus mehreren kleinen Sclerosomatinae-Arten, die nicht zu dem Exemplar gehören, das in Martens (1978) beschrieben ist.
Leiobunum sp. A. Als der Namenlose Invasivkanker etwa um 2000 in Mitteleuropa erschien und erstmals beschrieben wurde (Wijnhoven et al. 2007), erregte er sogar in der Tagespresse nachhaltige Aufmerksamkeit. Wo dieser große und auffällig dunkel gefärbte Weberknecht günstige Lebensräume fand, entwickelten sich individuenreiche, auf engem Raum lebende Populationen, die Tagesruheplätze an schattigen Stellen vor allem im menschlichen Siedlungsbereich aufsuchten. Sie fanden sich dort zu Hunderten, oft sogar zu über Tausend Individuen zusammen. Auch dieser Neuankömmling breitete sich offensichtlich von den Niederlanden schnell aus, woher die ersten Nachweise stammten, indes ist er flächendeckend nur in wenigen Gebieten vertreten. Bekannt hierfür ist das Ruhrgebiet in Nordwest-Deutschland, eine große zusammenhängende „Felslandschaft“, wo die Habitatansprüche dieses Leiobunum gut erfüllt sind. Sonst ist die Verbreitung eher lückenhaft geblieben (Abb. 11). Einzelne auffällige Kolonien werden in der Bevölkerung noch immer registriert und werden gern gemeldet.
Dabei ergeben sich unerwartete Meldungen. In Düsseldorf wurden seit 1999 jedes Jahr bis heute eine Kolonie im Balkonbereich eines dritten Stocks eines Wohnhauses beobachtet. Diese Ansiedlung bestand vermutlich deutlich länger, da sie beim Einzug einer neuen Mieterin in jenem Jahr bereits registriert wurde (Mitteilung von Frau M. Djuraki mit Fotobeleg, 19.8.2021). Dieser Nachweis ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert:
a) Er belegt die Existenz von Leiobunum sp. A im Erfassungsgebiet für mindestens sechs Jahre früher als bisher bekannt (Wijnhoven et al. 2007);
b) er verlegt den Erstnachweis von den Niederlanden nach Deutschland und
c) beweist er die kontinuierliche Existenz einer (isolierten?) Kolonie über mindestens 23 Jahre.
In Deutschland sind die Vorkommen auf die Westhälfte des Landes konzentriert, westlich etwa vom Ruhrgebiet zum Rhein-Main-Gebiet und nach Stuttgart und südlich davon; sonst im Osten nur verstreute Nachweise nicht östlich einer Linie von Neubrandenburg über Berlin nach Dresden (Fri-man & Neumann 2011); etwa 220 km nach Osten vorgeschoben sind Nachweise in Polen bekannt (Rozwałka et al. 2017), Ostfrankreich (Noordijk et al. 2011, Iorio & Delfosse 2016), lokal in Süddänemark (Abenrå, CJM); auf der britischen Hauptinsel bisher nur lokal in der südlichen Landeshälfte, abgesprengt in der Gegend von London (Davidson 2019). Inzwischen wurde der Alpenhauptkamm nach Süden überschritten: Nachweise in der Schweiz im Wallis bei Glis auf 676 m (Fotonachweis von Frau S. Meier, Sept. 2020) und in Österreich in Kärnten und der Steiermark. Die wenigen Funde in Österreich sind somit ebenfalls bislang über große Strecken voneinander getrennt (Komposch et al. 2016). Die Herkunft dieses Leiobunum ist weiterhin umstritten, doch ist sicher, dass es ein naher Verwandter eines Formenkomplexes von der Iberischen Halbinsel ist; in dieser Gruppe bestehen erhebliche taxonomische Probleme (Wijnhoven pers. Mitt.); auch die iberische Art Leiobunum defectivum (Rambla, 1959) und Leiobunum rotundum (Latreille, 1798) gehören in seine Verwandtschaft. Wijnhoven (2011) hat eine außergewöhnlich detaillierte Untersuchung zur Biologie dieser Art vorgestellt.
Nelima gothica Lohmander, 1945. Deutschland wird nach dem ersten deutschen Nachweis durch Bliss (1994) bei Gramelow in Mecklenburg-Vorpommern noch immer weitgehend vom atlantisch-submediterranen Areal ausgespart. Fallenfänge vom Bahnhof Frankfurt (Main)-Sportfeld und im nahe gelegenen Kelsterbach beruhten auf Einschleppung und blieben ephemer (Arachnologische Gesellschaft 2021a: https://atlas.arages.de/species/1404; CJM). Rezent wurde N. gothica für die Niederlande nachgewiesen (Noordijk et al. 2015).
Nelima silvatica (Simon, 1879)
Nelima doriae (Canestrini, 1872). Diese mediterrane Art ist in die Niederlande (Wijnhoven 2007, 2009) und nach Belgien (Vanhercke & Slosse 2011) eingeschleppt worden. Die niederländische Ansiedlung besteht nach etwa 15 Jahren noch immer. Außerdem existieren Funde bei Rotterdam (Papendrecht) und bei Krabbendijke in der Provinz Zeeland (Wijnhoven pers. Mitt.). Auch in Frankeich ist N. doriae stärker nach Norden vorgedrungen und hat das Mittelmeergebiet verlassen (Iorio & Delfosse 2016).
Nelima sempronii Szalay, 1951. Diese südöstliche Art mit Locus typicus in Ungarn ist in fast allen österreichischen Bundesländern gefunden worden (Komposch & Gruber 2004) und hat sich seither weiter ausgebreitet, sogar in hochgelegenen Tälern der Hohen Tauern bestehen neuerdings Vorkommen; Anfangsbesiedlung dort wohl durch Transport von Baumaterialien (Komposch pers. Mitt.). Martens (1978) konnte für Deutschland nur zwei Fundorte benennen. Seitdem hat sich die Art hier stark ausgebreitet; die Nachweise konzentrieren sich in den östlichen Bundesländern (Abb. 12). Nach Norden vorgeschobene Verbreitungspunkte liegen auf den Ostseeinseln Rügen und Usedom (CJM). Seit 2004 ist sempronii in den Niederlanden nachgewiesen (Wijnhoven 2005) und lebt gegenwärtig nicht selten in flußnahen, kräuterreichen Habitaten östlich von Nijmegen, neuerdings auch an drei weiteren Ruderalstellen im Westen des Landes (Wijnhoven pers. Mitt.). Der größte Teil des gegewärtigen Areals ist als allochthon einzustufen.
Nelima narcisi Novak & Slana, 2003. Das ist eine kleine Nelima-Art, die im nordöstlichen Adria-Küstengebiet Italiens, Sloweniens und des angrenzenden Kroatien aufgefunden wurde. Sie lebt in oft extrem trockenen Gebüschen und Waldrändern von Meereshöhe aufwärts bis 100 m mit insgesamt sehr begrenzter Verbreitung. Äußerlich besteht eine gewisse Ähnlichkeit zu N. doriae und N. sempronii, doch ist N. narcisi deutlich kleiner, allerdings nur innerhalb der Extrembiotope, sonst deutlich größer (Novak 2005b). Ähnlich Leiobunum subalpinum besitzt N. narcisi auffallend braun gebänderte Coxen der Laufbeine und ist damit leicht von den anderen Nelima-Arten zu unterscheiden (Novak & Slana 2003).
Dank
Jürgen Gruber, Christian Komposch, Christoph Muster, Tone Novak, Axel Schönhofer und Hay Wijnhoven haben sich mit großer Aufmerksamkeit und viel Geduld des Manuskriptes angenommen und viele Verbesserungs- und Ergänzungsvorschläge gemacht. Das gilt ebenso für die Redaktion der Arachnologischen Mitteilungen, Theo Blick, Petr Dolejš und Konrad Wiśniewski. Henrik Enghoff unterstützte mich mit Angaben aus Dänemark. Ferner sei hier der großen Zahl jener Feldbiologen gedacht, die mich seit 1978 mit Informationen und Belegmaterial unterstützt haben; sie können hier nicht alle einzeln genannt werden, aber alle ihre Informationen sind in irgendeiner Weise verwendet worden. Stephan Lauterbach übergab mir Assamiiden aus Warmhäusern des Palmengartens in Frankfurt am Main und erlaubte, seine Zeichnungen von dieser Art hier einzufügen. Christian Komposch stellte Ischyropsalis-Fotos der Alpen und eines von Dasylobus graniferus für diese Arbeit zur Verfügung, desgleichen Axel Schönhofer eines von Ischyropsalis lithoclasica. Axel Schönhofer hat die Mainzer Weberknecht-Sammlung, die seit 1963 besteht, über die Jahre mit großer Hingabe von der analogen Dokumentation in eine elektronische überführt und ihre Handhabung somit wesentlich verbessert. Die Wagner-Stiftung und die Feldbausch-Stiftung, beide am Fachbereich Biologie der Universität Mainz, stellten mir regelmäßig Mittel für die Labor- und Freiland-Bearbeitung taxonomischer und systematischer Fragen an Weberknechten zur Verfügung. Ich danke allen Freunden, Kollegen und Institutionen sehr herzlich.