Die Ungarische Zwergkräuselspinne Altella hungarica Loksa, 1981 wurde in Thüringen erstmals für Deutschland und das zweite Mal in Mitteleuropa nachgewiesen. Die Art ist ein sehr selten gefundener Bewohner von Steppengebieten.
First record of the tiny mesh web weaver Altella hungarica (Araneae: Dictynidae) in Germany. The first German and the second Central European record of the tiny mesh web weaver Altella hungarica Loksa, 1981 is reported from the federal state of Thuringia. The species is a very rarely recorded inhabitant of steppe areas.
Die Ungarische Zwergkräuselspinne Altella hungarica Loksa, 1981 war lange Zeit nur von der Typuslokalität im Hortobágy-Nationalpark in Ungarn bekannt, wo sie im Mai 1974 mit Bodenfallen erfasst wurde (Loksa 1981). Ponomarev et al. (2017, 2021) publizierten weitere Fänge der Art aus der Osteuropäischen Ebene im Südosten der Ukraine, dem angrenzenden Süden Russlands und Nord-Ossetien im russischen Nordkaukasus. Die Tiere aus Nord-Ossetien wurden 1987 und die Tiere aus der Osteuropäischen Ebene zwischen 2001 und 2015 erfasst. Nachfolgend wird der Erstnachweis der Art für Deutschland gemeldet, der durch die erst kürzlich erfolgte Identifikation von Material zustande kam, das bereits 1987 auf dem Roten Berg bei Holzhausen (Thüringen) gefangen wurde.
Material und Bestimmung
Von Mitte April 1987 bis Mitte April 1988 wurde die epigäische Laufkäferfauna auf dem Roten Berg bei Holzhausen (Thüringen) mit 15 Bodenfallen erfasst (leg. M. Hartmann). Der Öffnungsdurchmesser der Fallen betrug 6 cm. Als Fangflüssigkeit wurde 2%ige Formaldehydlösung verwendet. Die Fallen wurden von Mitte April bis Mitte Oktober in 14tägi-gem Rhythmus geleert, danach monatlich. Beifänge, darunter die Spinnen, wurden separiert, in 70% Ethanol konserviert und erst kürzlich bearbeitet. Die Spinnen wurden mithilfe der gängigen Literatur bestimmt (z. B. Nentwig et al. 2024), die Nomenklatur richtet sich nach dem aktuellen WSC (2024).
Zur Bestimmung von Altella hungarica wurden die Beschreibungen in Loksa (1981) und Ponomarev et al. (2017) verwendet. Von den anderen in Deutschland nachgewiesenen Arten der Gattung Altella sind die Männchen von A. hungarica (Habitus s. Abb. 1a) durch das Fehlen von Dornen bzw. Borsten auf dem Metatarsus I und von Dornen auf der Tibia III leicht zu unterscheiden. Darüber hinaus sind Form und Ausrichtung des Konduktors typisch (Abb. 1b). Ein charakteristisches Merkmal sind weiterhin lange, gebogene Haare, die lateral vom Metatarsus IV abstehen (Abb. 1c).
Der Vergleich mit dem Typus-Material war nicht möglich, da der Verbleib der Typen unklar ist. Entgegen den Angaben von Loksa (1981) wurde das Material nicht im Ungarischen Naturwissenschaftlichen Museum Budapest hinterlegt(L. Dányi in litt.). Auch im privaten Nachlass von I. Loksa befindet es sich nicht (S. Loksa in litt.).
Ergebnisse
Insgesamt wurden damals in dem einjährigen Fangzeitraum 70 Spinnenarten auf dem Roten Berg nachgewiesen (siehe Tab. 1 im Anhang), darunter 14 Arten der Roten Liste Thüringens (Sander et al. 2001), neun Arten der Roten Liste Deutschlands (Blick et al. 2016) sowie der hier beschriebene erste Fund von A. hungarica in Deutschland. Bei der Aufarbeitung des Materials konnten zwei Männchen dieser Art identifiziert werden (Fangdaten: 17.–30. Mai 1987 und 15. Nov. – 13. Dez. 1987, letzteres nur Prosoma).
Die häufigste Art der Untersuchung mit 14,5 % Dominanzanteil war die in Thüringen stark gefährdete Zwergspinne Typhochrestus simoni Lessert, 1907. Sie ist typisch für offene Lebensräume mit scherbiger Struktur des Oberbodens wie Kalk-Trockenrasen (vgl. z. B. Blick 2013, Kielhorn & Schmidt 2020). Auch die anderen Spinnenarten mit Rote-Liste-Status, die zusammen mit A. hungarica auf dem Roten Berg erfasst wurden, sind Arten der trockenen Offenlebensräume (s. auch Bauchhenß 1990, Buchar & Růžička 2002).
Fundort von Altella hungarica in Thüringen
Der Rote Berg bei Holzhausen im Ilm-Kreis (50,86294°N, 10,87392°E; ca. 360 m ü. NHN) liegt nordwestlich der Wachsenburg im gleichnamigen Naturschutzgebiet (NSG) Wachsenburg. Dieses NSG bildet einen Teil des Fauna-Flora-Habitat-(FFH)-Gebiets „Drei Gleichen“(DE 5131-303). Das FFH-Gebiet zeichnet sich durch bedeutende Vorkommen des prioritären FFH-Lebensraumtyps „Subpannonische Steppen-Trockenrasen“(6240*) aus (PGNU 2012).
Auf dem Roten Berg treten Steppen-Trockenrasen auf Gipskeuper in einem Komplex mit Kalk-Trockenrasen (FFH-Lebensraumtyp 6210) und Kalk-Pionierrasen (FFH-Lebensraumtyp 6110*) auf. In diesem Komplex befinden sich nahezu vegetationslose Offenflächen, die sogenannten „badlands“auf Keupermergel. Die epigäische Bodenfauna wurde 1987/88 auf dem Südhang des Roten Bergs mit Bodenfallen erfasst (Abb. 2).
Verbreitung und Habitatpräferenz
Nach Ponomarev et al. (2017) kommt A. hungarica in der Steppenzone Europas vor. Der Fund in Deutschland belegt eine darüber hinaus gehende, weitere Verbreitung in geeigneten Lebensräumen außerhalb der eigentlichen Steppenzone (Abb. 3). Möglicherweise handelt es sich dabei um Reliktvorkommen eines früher weiter ausgedehnten Verbreitungsgebiets.
Loksa (1981) macht in der Erstbeschreibung keine näheren Angaben zum Lebensraum, in dem die ungarischen Exemplare von A. hungarica gefangen wurden. Nachweise anderer Arten am gleichen Fundort (Kunmadaras: Döghalom), darunter auch die Südrussische Tarantel Lycosa singoriensis (Laxmann, 1770), weisen jedoch darauf hin, dass es sich sehr wahrscheinlich um Steppenvegetation, möglicherweise auf salzhaltigem Boden, gehandelt haben muss. Ponomarev et al. (2017) nennen verschiedene Lebensräume, in denen die Art in der osteuropäischen Ebene gefunden wurde, darunter u. a. Wermutgrassteppe, einen Steinbruch, ein Gerstenfeld, ein Quecken-Bestand, eine Steppenwiese mit Sträuchern. Die Funde von Ponomarev et al. (2021) stammen aus Federgrassteppen um die nord-ossetische Stadt Mosdok. Der Fundort in Deutschland mit Steppen-Trockenrasen und Vorkommen von typischen xero-thermophilen Spinnenarten (wie Agroeca lusatica (L. Koch, 1875), Alopecosa schmidti (Hahn, 1835), Ozyptila scabricula (Westring, 1851), Panamomops inconspicuus (Miller & Valešová, 1964), Typhochrestus simoni) bestätigt die Einstufung von A. hungarica als Art der Steppenvegetation.
Zwischen den Fundorten in Deutschland, in Ungarn und in der Ukraine bestehen große geografische Lücken (Abb. 3). Wir vermuten, dass die Art auch in Österreich, Tschechien, der Slowakei, Rumänien, Moldau oder auch in Georgien vorkommt, das an Nord-Ossetien angrenzt.
Danksagung
Wir danken Matthias Hartmann für die Überlassung des Materials und Informationen zu den Fundumständen, Robert Bosmans für die Überprüfung der Bestimmung, Andreas Kopetz für das Foto des Fundorts und Jacob Kielhorn für Fotos von A. hungarica und die Erstellung der Karte. Für ihre Unterstützung bei der Recherche nach dem Typusmaterial danken wir László Dányi, Stephan Loksa und Csaba Szinetár. Darüber hinaus danken wir Tobias Bauer und Hubert Höfer für Anmerkungen zum Manuskript.
Literatur
Appendices
Anhang
Tab. 1:
Artenliste und Individuenzahlen der Spinnen aus Bodenfallenfängen auf dem Roten Berg bei Holzhausen 1987/1988 mit Angabe der Gefährdungseinstufung in der Roten Liste Thüringens (RLT) (Sander et al. 2001) und der Roten Liste Deutschlands (RLD) (Blick et al. 2016) Rote-Liste-Kategorien: 2 = stark gefährdet, 3 = gefährdet, G = Gefährdung anzunehmen, V = Vorwarnliste